Wolfgang Burtscher

Kommentar

Wolfgang Burtscher

Intelligenz im Wahlkampf

Politik / 18.08.2024 • 09:54 Uhr

Die legendäre Analyse des früheren SPÖ-Bürgermeisters von Wien Michael Häupl über Wahlkämpfe („Zeit fokussierter Unintelligenz“) erlebt wieder Hochkonjunktur. Zum vereitelten Anschlag auf die Wiener Konzerte von Taylor Swift gilt als gesichert: Die entscheidenden Hinweise kamen von einem ausländischen Geheimdienst, vermutlich aus den USA. Die Hinweise fußten auf der Überwachung von Messengerdiensten wie WhatsApp, Signal oder Telegram. Die Überwachung solcher Dienste ist nach derzeitiger Rechtslage in Österreich nicht möglich, andere Länder haben sie schon längst. Im Fall einer ähnlichen Bedrohung ist Österreich wieder darauf angewiesen, dass uns ein ausländischer Geheimdienst aus der Patsche hilft. Schlussfolgerung: Wir sind in Sachen Terrorbekämpfung weiterhin Trittbrettfahrer so wie bei der Landesverteidigung, bei der wir auf die Hilfe der NATO angewiesen sind.

“Eines ist klar: Anlassgesetzgebungen sind immer etwas problematisch.”

Was sich hinsichtlich der Konsequenzen des vereitelten Anschlags tut, ist Wahlkampf pur. Der Verfassungsgerichtshof hat 2019 ein Gesetz der früheren türkis-blauen Regierung aufgehoben, das das behördliche Auslesen von Messengerdiensten erlaubt hätte. Die Gefahr, dass auch private Daten betroffen sein könnten, sei grundrechtswidrig. ÖVP-Innenminister Karner hat im Mai einen neuen Entwurf vorgeschlagen und diesen nun wieder ins Spiel gebracht. Im Nationalen Sicherheitsrat vor wenigen Tagen: geballte Ablehnung durch die Opposition, aber auch des grünen Koalitionspartners. Der Kritik, dass der Karner-Entwurf verfassungswidrig sei, hat sich die renommierte Strafrechtsexpertin Ingeborg Zerbes in der ZiB 2 nicht angeschlossen. Im Entwurf gebe es sinnvolle Beschränkungen, die Messengerdienste nur bei Verdacht schwerster Verbrechen zu überwachen. Abgesehen davon existieren solche Möglichkeiten bei der klassischen Telefonie längst. Auch das Bundeskriminalamt will, zur Überwachung der immer dreister werdenden Drogenbanden, die Möglichkeit einer zeitgemäßen technischen Überwachung.

Fragen der nationalen Sicherheit sollten von einer breiten politischen Zustimmung getragen sein. Die könnte man in der Begutachtung für ein Gesetz erzielen, bei der Einwände berücksichtigt werden. Doch alle Parteien außer der ÖVP sagen, im Nationalen Sicherheitsrat, schon vorher: Njet. Häupl lässt grüßen. Bei den Grünen hat wenigstens der Vorsitzende Kogler angedeutet, dass er sich ein Begutachtungsverfahren vorstellen kann. Die ÖVP wiederum, die sich, auch hinter den Kulissen, um einen Kompromiss bemühen könnte, schlägt wild um sich, nennt die anderen, inklusive des grünen Regierungspartners, eine „Allianz der Gefährder“ und macht jetzt schon die bessere Überwachung zur Koalitionsfrage. Das hat ein Gschmäckle. Wahlkampf ja, aber intelligent?

Die SPÖ wiederum ist gespalten. Der Vorarlberger Vorsitzende Leiter fordert in den VN bessere Überwachungsmöglichkeiten, der Bundesvorsitzende Babler nennt das „ein plumpes Massenüberwachungsmittel für alle privaten Chat-Nachrichten“. Teile der SPÖ haben eine alte Forderung von FPÖ und ÖVP nach einem Verbotsgesetz für Islamismus (nach dem Muster des NS-Verbotsgesetzes) aufgegriffen. Die SPÖ Niederösterreich und Burgenland sind dafür, die Bundespartei nicht und hätte lieber ein „Terrorabwehrzentrum“ zur frühzeitigen Erkennung von sich radikalisierenden Personen.

Eines ist klar: Anlassgesetzgebungen sind immer etwas problematisch. Alle diskutierten Verschärfungen sind eine Einschränkung der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit. Wir sprechen über eine Interessensabwägung. Terrorbekämpfung kann mit der Einschränkung von Rechten verbunden sein. Darüber sollte man ohne ideologische Scheuklappen und ohne Wahlkampfrhetorik diskutieren.

Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landes­direktor, lebt in Feldkirch.