Sind Sie eine “Staatsgefährderin”, Frau Gewessler?

Politik / 19.08.2024 • 16:06 Uhr
Interview mit Leonore Gewessler
Klimaschutzministerin Leonore Gewessler sprach mit den VN über mehrere brisante Themen. VN/STeurer

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler polarisiert. Sie beharrt auf dem Ende der S18 und sieht im EU-Renaturierungsgesetz einen großen Wurf. Den VN erklärt sie, wie es um die Kosten steht und warum sie bei der Abhängigkeit von russischem Gas auch ein Marktversagen ortet.

Schwarzach Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) will nicht noch einmal 70 Jahre über die S18 diskutieren, sondern diesen Kreislauf durchbrechen. Anstelle Geld für diese hochrangige Straßenverbindung zu verbuddeln, brauche es klügere Lösungen, beharrt sie darauf, das Projekt zu begraben. Der Vorteil laut Gewessler: Die Lustenauer Bevölkerung würde zügiger entlastet und nicht noch mehr Transitverkehr in die Region gezogen, sagt sie im VN-Interview. Gleichzeitig verteidigt die Ministerin ihre Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz. Zwei Jahre ist nun Zeit, den nationalen Plan dazu auszuarbeiten. Ob sich Vorarlberg mit “Rhesi” bereits freigespielt hat, beantwortet sie nur vage: “Wir haben in Österreich eine gute Ausgangsposition.” Länder und Gemeinden könnten mit finanzieller Unterstützung von Bund und EU rechnen. Fest steht für Gewessler auch, dass ab 2027 kein russisches Gas mehr nach Österreich fließt. Am liebsten hätte sie ein Gesetz, das Markteilnehmer verpflichtet, nicht russisches Gas einzukaufen. “SPÖ, FPÖ und ÖVP sind leider dagegen.” Ministerin möchte die Grüne auch nach der Wahl bleiben. “Ich bewerbe mich um eine Verlängerung.”

Die ÖVP hat Sie am Wochenende im Zusammenhang Ihrer Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz als „Staatsgefährderin“ bezeichnet. Sind Sie das?

Gewessler Ganz im Gegenteil, ich habe eine Entscheidung getroffen, die dazu beitragen wird, dass wir die Basis unseres Wirtschaftens und Lebens, nämlich eine intakte und gesunde Natur, erhalten.

Wie geht es Ihnen, wenn der Koalitionspartner solche Bezeichnungen für Sie wählt?

Gewessler Ich habe mir die Entscheidung für das EU-Renaturierungsgesetz nicht leicht gemacht, aber ich habe sie aus voller Überzeugung getroffen und rechtlich gut abgesichert. Offenbar ist Maß und Ziel in der Diskussion manchen verloren gegangen.

Wie sehen Sie der Anzeige wegen Amtsmissbrauchs entgegen?

Gewessler Äußerst gelassen.

Interview mit Leonore Gewessler
Leonore Gewessler stattete den VN am Montag einen Besuch zum Interview ab. VN/Steurer

Der Vorarlberger Agrarlandesrat Christian Gantner kritisierte, dass mit dem Renaturierungsgesetz die Katze im Sack gekauft worden sei. Was kommt konkret auf die Länder zu?

Gewessler Die nächsten Schritte in der Umsetzung sind, dass alle Länder, auch Österreich, einen nationalen Wiederherstellungsplan erarbeiten, in dem wir selbst darlegen und entscheiden, welche Projekte unser Beitrag für das europäische Ziel sind.

Für Vorarlberg wurde das Hochwasserschutzprojekt Rhesi fixiert. Dabei handelt es sich um eine große Fläche, die renaturiert wird. Wird diese mit einberechnet?

Gewessler Wir haben in Österreich tatsächlich eine gute Ausgangsposition. Und viele der Projekte, die wir jetzt machen, sind Maßnahmen im Sinne der Renaturierungsverordnung, die wir in diesen nationalen Wiederherstellungsplan reinschreiben können. Aber ausruhen können wir uns darauf auch nicht.

Noch ist dieses Bild nur eine Illustration. Doch so soll der Rhein irgendwann auf Höhe Koblach aussehen.  IRR
Das Hochwasserschutzprojekt Rhesi ist auch ein großes Renaturierungsprojekt. So soll der Rhein irgendwann auf Höhe Koblach aussehen.  IRR

Hat sich Vorarlberg mit Rhesi quasi freigespielt?

Gewessler Rhesi ist ein wichtiger Beitrag. Wir werden uns jetzt mit den befassten Ministerien und allen Bundesländern ansehen, wo was passiert und was in den nationalen Plan einfließen muss. In zwei Jahren muss er fertig sein.

Laut EU-Kommission betragen die Kosten für die Renaturierung in Österreich über mehrere Jahre hinweg insgesamt rund drei Milliarden Euro. Wer trägt die Kosten?

Gewessler Es geht um eine Investition in die Zukunft, die jeden Euro wert ist. Bei Rhesi geht es etwa um Hochwasserschutz, der im Einklang mit der Natur funktioniert. Das ist eine Investition in unsere eigene Sicherheit. Die Europäische Union stellt für die Umsetzung der Verordnung Geld zur Verfügung.

Interview mit Leonore Gewessler
Was die Renaturierung anbelangt können Länder und Gemeinde mit Unterstützung von EU- und Bundesebene rechnen, erklärt die Ministerin. VN/STEURER

Länder und Gemeinden bleiben nicht auf den Kosten sitzen?

Gewessler Wir wollen bestmöglich die EU-Gelder abholen. Mir ist es ein Anliegen, dass wir auch Bundesbudget für den Naturschutz zur Verfügung stellen. Deshalb gibt es jetzt ja auch den Biodiversitätsfonds.

Sie wollen die S18 aus dem Bundesstraßengesetz nehmen und alternativ in niederrangige Straßen investieren. Wie sieht ihr Vorschlag konkret aus?

Gewessler Wir haben bei der S18 ein Projekt, das uns in Vorarlberg seit fast 70 Jahren beschäftigt. In dieser Zeit hat sich die Situation der Menschen vor Ort aber nicht geändert. Ich bin auch überzeugt, dass es 2024 eine bessere Lösung gibt, als eine Autobahn quer durchs Ried zu bauen. Wir würden das Geld nehmen und damit auf eine sinnvolle, rasch umsetzbare Lösung setzen, anstatt das Geld irgendwo zu verbuddeln.

  Studiobaff.com/Florian Frey
Die S18 ist umstritten: Das ist die CP-Variante einer Ostumfahrung Lustenaus.  Asfinag

Wo sollen die niederrangigen Straßen verlaufen? Hier wäre ein völlig neues Konzept notwendig, dessen Umsetzung ja auch dauert.

Gewessler Im Evaluierungsbericht gibt es ja konkrete Vorschläge. Hier haben wir deutlich kürzere Zeiten in der Umsetzung und Genehmigung, weil es bestandsnahe und niederrangig ist und kein kompletter Neubau in einem höchst sensiblen Naturgebiet. Wir brauchen jetzt aber das Land für die detaillierten Planungen.

Landeshauptmann Markus Wallner sagt, Sie stehlen sich aus der Verantwortung. Tun Sie das?

Gewessler Offensichtlich nicht. Sonst würde ich nicht hier sitzen und das Arbeitsübereinkommen vorschlagen. Das Land hat beim Thema Sofortmaßnahmen meine volle Unterstützung. Ich sehe meine Verantwortung darin, diesen Kreislauf der vergangenen 70 Jahr zu durchbrechen. Über viele Landesregierungen wurden Projekte und Pläne diskutiert. Für die Menschen vor Ort hat sich aber nichts verbessert.

Ist die Abkehr von der S18 nicht auch eine Art Sparmaßnahme? Der Bund müsste die hochrangige Straße ja bezahlen.

Gewessler Es ist ein Angebot. Der Bund würde 100 Prozent der Alternativen bezahlen, damit es endlich eine tatsächliche Entlastung für die Menschen in Lustenau gibt. Bitte nehmen wir das Geld, anstatt es zu verbuddeln. Investieren wir es Lösungen, die schneller gehen, wirken und die einen Mehrwert haben, weil es nicht nur um Straßen geht, sondern auch um ein innovatives Mobilitätskonzept für Lustenau, etwa um den Ausbau des öffentlichen Verkehrs Richtung Straßenbahn und Radwege.

Interview mit Leonore Gewessler
Die Lustenauer Bevölkerung müsse zügiger entlastet werden, sagt Gewessler. VN/Steurer

Die hochrangige Verbindung zur Schweiz fehlt. Braucht der Wirtschaftsstandort Vorarlberg diese nicht?

Gewessler Natürlich brauchen wir eine Verbindung, aber wir müssen sie gescheiter und smarter gestalten, anstatt noch mehr Transitverkehr und Verkehr anzuziehen.

Eine hochrangige Verbindung in die Schweiz braucht es nicht?

Gewessler Der Vorschlag ist, dass wir nicht die nächsten 70 Jahre damit verbringen, über Pläne zu reden, sondern in den nächsten Jahren tatsächlich Veränderungen bringen.

Warum kommt dieser Entwurf des Arbeitsübereinkommens gerade jetzt?

Gewessler Der Entwurf ist fertig geworden und ich habe ihn dem Land übermittelt. Ich mache einfach meine Arbeit.

In der Sicherheitsstrategie des Bundes soll der Ausstieg aus russischem Gas bis 2027 fixiert werden. Ist das fix?

Gewessler Ja. Es gibt eine Einigung, die wir zeitnah präsentieren. Wir haben die vergangenen Jahre intensiv gespürt und erlebt, was Sicherheitspolitik mit Energiepolitik zu tun hat. Wir haben uns viele Jahre in die Abhängigkeit von Wladimir Putin begeben, statt herausmanövriert und sind mit Energielieferungen aus Russland erpressbar gewesen.

Stand Juni 2024 liegt der Anteil von russischem Gas bei den Nettoimporten bei 83 Prozent. Wie realistisch ist ein Ausstieg bis 2027?

Gewessler Wir schaffen das. Es gibt genug nichtrussisches Gas am europäischen Markt und wir haben die Leitungen, um dieses nichtrussische Gas nach Österreich zu bringen. Das Problem ist: Es gibt ein Marktversagen, da die Marktteilnehmer das nichtrussische Gas nicht für Österreich kaufen. Daher habe ich ein Gesetz vorgeschlagen, das die Versorger verpflichtet, nichtrussisches Gas einzukaufen, schrittweise bis 2027.  Wir können das morgen beschließen. Die Grünen stimmen sofort dafür. Leider sind SPÖ, FPÖ und ÖVP dagegen.

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Die Ministerin würde Marktteilnehmer am liebsten verpflichten, auf russisches Gas zu verzichten. AFP

Woher kommt denn das Gas stattdessen? Aus anderen autoritär geführten Ländern?

Gewessler Wir müssen diversifizieren, also andere Quellen finden. Weil Diversifizierung heißt, dass man weniger abhängig von einem Partner ist. Natürlich müssen wir mittel- und langfristig raus aus fossilen Rohstoffen. Je mehr wir heimisch erneuerbar machen, desto weniger Abhängigkeit von anderen.

Aber wie kann man ab 2027 80 Prozent des gesamten Nettoimports von Gas decken?

Gewessler Wir haben einen deutlich geringeren Gasverbrauch als vor zwei Jahren, zum Beispiel 2023 durch den Ausbau der Erneuerbaren 40 Prozent weniger Gas in der Stromproduktion. Für den Rest gibt es unterschiedliche Lieferquellen von Norwegen bis Nordafrika.

ABD0094_20200107 – WIEN – …STERREICH: Leonore Gewessler (Umwelt,Infrastruktur,Verkehr/GrŸne) und BundesprŠsident Alexander Van der Bellen im Rahmen der Angelobung der neuen tŸrkis-grŸnen Regierung am Dienstag, 07. JŠnner 2020 in der PrŠsidentschaftskanzlei in der Hofburg in Wien. – FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER
Gewessler wurde am 7. Jänner 2020 von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt. APA

Wollen Sie Ministerin bleiben?

Gewessler Ja, wir haben in den vergangenen fünf Jahren bewiesen, dass es Naturschutz und Klimaschutz in einer Regierung nur mit den Grünen gibt. Ich bewerbe mich um die Verlängerung. Wir haben viel erreicht. Vom Klimaticket zum Pfand, vom Erneuerbaren-Ausbau zum Bahnausbau. Aber es gibt auch noch genug zu tun.

Das Klimaschutzgesetz und Erneuerbare-Wärme-Gesetz wurden noch nicht beschlossen.

Gewessler Wir haben in den vergangenen Jahren viele Maßnahmen beschlossen, die für sinkende Emissionen sorgen. Von den Budgetgesetzen bis hin zu dem Einbauverbot für neue Gasheizungen im Neubau. Aber wir brauchen auch ein Gesetz, das das Zusammenspiel der unterschiedlichen Ebenen regelt. Deswegen werde ich nie aufhören, für ein Klimaschutzgesetz zu kämpfen. Wer sich um das Gesetz drückt, will sich um die Verantwortung drücken.

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