Kommentar: Ertappt
Die sogenannten territorialen Lieferbeschränkungen großer Industriekonzerne sind ein wesentlicher Grund dafür, dass gleiche Produkte in Deutschland viel mehr als in Österreich kosten. Für ein Verbot dieser unseriösen Praktiken hat sich auch die heimische Politik stark eingesetzt. Bis, und das ist besonders pikant, ein Protokoll aus der fachlich dafür zuständigen Arbeitsgruppe des EU-Ministerrates bekannt wurde, demnach der österreichische Vertreter dort erhebliche Bedenken gegen ein derartiges Verbot vorbrachte. Obwohl sein Minister zu Hause in Wien öffentlich genau das Gegenteil behauptete. Also entweder hat unser Wirtschaftsminister aufgrund seiner unseligen Teilzeitdebatte den Überblick verloren oder seine Beamten wusste nicht, was die offizielle Position des Ministeriums ist. Oder aber – das wäre ein echter Skandal – der Minister hat sich als Lobbyist für heimische Großproduzenten, die dieses Verbot natürlich nicht wollen, verwenden lassen. Wir werden wohl nie erfahren, was wirklich Sache war. Peinlich ist dieser Vorfall aber jedenfalls.
“Die Koordinierung der heimischen Europapolitik ist und bleibt ein Trauerspiel.”
Er zeigt nun schon zum wiederholten Male: die Koordinierung der heimischen Europapolitik ist und bleibt ein Trauerspiel. Zu Hause groß öffentliche Bekenntnisse abgeben und auf europäischer Ebene eine andere Meinung zu vertreten oder sich einfach nicht zu positionieren, ist immer noch gängige Praxis. Nur so ist vielleicht auch erklärbar, wieso Österreich bürokratischen Monstern wie der Lieferkettenverordnung zustimmen konnte oder die grüne Aktivistin Gewessler eigenmächtig dem EU-Renaturierungsgesetz zum Durchbruch verholfen hatte. Diese Praxis zeugt von einem falschen Verständnis von Europapolitik bzw. einem fundamentalen Unwissen über das Funktionieren der EU. Dort zählen nur konsequentes Arbeiten und sachliche Kompetenz und nicht schöne Interviews zu Hause.
Österreich hat in den ersten Jahren der EU-Mitgliedschaft, als die Frage des Alpentransits verhandelt wurde, bei den Ratsarbeitsgruppen mit Abwesenheiten und unkoordiniertem Auftreten geglänzt. Was damals noch mit dem Argument der fehlenden europäischen Arbeitspraxis zu entschuldigen war, gilt nach mehr als 25 Jahren EU-Mitgliedschaft nicht mehr. Unsere Bundespolitik leidet ganz offensichtlich an einer provinziellen Sehschwäche, wenn es um europäische Politik geht. Da hilft jetzt auch das Schreiben des Ministers an die EU-Kommission, dass er natürlich gegen die Preistreiberei der Konzerne ist, nur bedingt. Zumal für die Verabschiedung des entsprechenden Rechtsaktes nicht die EU-Kommission, sondern der Ministerrat zuständig ist. Aber auch abgesehen von solchen kleinen Peinlichkeiten bleibt der Eindruck, dass der Herr Minister schlicht und einfach bei einem versuchten Täuschungsmanöver ertappt wurde.
Rainer Keckeis ist ehemaliger AK-Direktor Vorarlberg und früherer Feldkircher VP-Stadtrat.
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