Michael Prock

Kommentar

Michael Prock

Mehr Visionen bitte!

Politik / 28.08.2024 • 14:37 Uhr

Der Spruch: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, zirkuliert in politischen Kreisen stets, um große Ideen ins Lächerliche zu ziehen. Häufig zu Unrecht. Wäre die Politik visionslos, wofür bräuchten wir Politikerinnen und Politiker? Als reine Verwaltungsorgane? Visionen sind die Würze des politischen Alltagsgeschäfts. Auch in Vorarlberg. Derzeit hat es eine Vision sogar in den Wahlkampf geschafft: die Ringstraßenbahn.

Oft sind es Unternehmer und andere private Visionäre, die ihre Ideen vorantreiben. Hubert Rhomberg etwa, der als Bahninfrastrukturunternehmer seit vielen Jahren im öffentlichen Verkehr immer wieder Akzente setzt. 2011 wurde er in einem VN-Interview gefragt, bis wann seiner Meinung nach die Ringstraßenbahn im unteren Rheintal stehen soll. Seine Antwort: in zehn Jahren. Diese Frist ist vor drei Jahren verstrichen, doch passiert ist bis auf einige Untersuchungen nichts. Die Politik hat sie nicht ernsthaft verfolgt. Die Ringstraßenbahn ist in den Mühlen des politischen Alltags zerrieben worden. Nachdem die Grünen bis in jüngster Vergangenheit einen verdichteten Bus der Straßenbahn vorgezogen haben, ist nun wieder die Ringstraßenbahn das propagierte Mittel der Wahl zur Verkehrslösung im Unteren Rheintal.

Zum Glück wird häufig über Visionen diskutiert: Manche fordern eine Straßen- und Bahnuntertunnelung in Bregenz. Anderen ist es ein Anliegen, die beiden Autobahnen zwischen der Schweiz und Vorarlberg zu verbinden. Es gibt Befürworter für eine Radautobahn oder für eine Seilbahn in den Bregenzerwald. Manche verfolgen die Vision eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle, andere setzen sich für eine gemeinsame Schule ein. Einige dieser Visionen sind fortgeschritten und haben es schon auf fundiertes Papier geschafft.

Die S 18 und die gemeinsame Schule zeigen, welchen Weg Visionen nehmen können: Sie werden untersucht, Pro und Kontra werden abgewogen, und schließlich schaffen sie es in den Landtag. Zwar bleiben sie oft für viele weitere Jahre – wenn nicht für immer – aus ideologischen Gründen ein Papierprojekt, aber zumindest haben sich die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger eingehend damit befasst. Und: Diese Unterlagen lassen sich bei Bedarf wieder aus der Schublade holen.

Wie soeben bei der Ringstraßenbahn. Doch wie reagiert der politische Mitbewerb? Mit dem Fingerzeig (hätte fünf Jahre Zeit gehabt), mit Kritik (unglaubwürdig), mit Eigenlob (wir waren immer schon dafür). Die Straßenbahn selbst spielt jedoch eine untergeordnete Rolle – abgesehen davon, dass man dafür ist, sie zu prüfen.

Von Unternehmen wird Innovationsgeist verlangt. Aber Innovationsgeist setzt Visionsgeist voraus – auch in der Politik. Wer das eingangs erwähnte Zitat einst erfunden hat, ist unbekannt. Deswegen wird es aber nicht falsch. Das sollte auch für Visionen gelten. Egal, welche Partei sie ausspricht, welcher Ideologie sie entstammt oder welcher Aktivismus zugrunde liegt: Eine halbwegs vernünftig und mit schlüssigen Zielen argumentierte Vision ist es immer wert, ernsthaft analysiert zu werden.