Gaspreise in Österreich: Abhängigkeit und Wohlstand auf dem Prüfstand

FPÖ-Parteichef Herbert Kickl bekräftigte im Interview die Bedeutung russischen Gases für Österreichs Wohlstand. Experten warnen hingegen vor den Risiken der Abhängigkeit.
Wien „Ja, Österreich soll weiterhin russisches Gas beziehen. Diese billige Energie aus Russland ist ein wesentlicher Faktor für Österreichs Wohlstand“, sagte FPÖ-Parteichef Herbert Kickl vergangene Woche den VN. Angesichts seiner Aussage über eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe durch Volksentscheid ging diese Aussage fast unter. Aber seit dem Angriff auf die Ukraine ist der Bezug von russischem Gas nicht nur aus moralischen Gründen ein Thema. Sichert russisches Gas tatsächlich noch Österreichs Wohlstand? Das Klimaministerium spricht von einer „fatalen Fehlentscheidung“, sich von russischem Gas auf Jahrzehnte so stark abhängig zu machen.
Vorarlbergs Gasreserven voll
Die gute Nachricht vorab: Vorarlberg ist für den Winter gut versorgt. „Der von der illwerke vkw im Speicher 7Fields reservierte Gasspeicher ist aktuell zu fast 100 Prozent gefüllt. Die Menge beträgt rund 700 Gigawattstunden. Dies entspricht etwa der Hälfte des gesamten Erdgasverbrauchs im Winter (Haushalte und Industrie) oder des gesamten Verbrauchs der Haushalte in den Wintermonaten“, informiert der Unternehmenssprecher der Illwerke vkw, Andreas Neuhauser die VN. Zudem wird in Vorarlberg effizienter mit Energie umgegangen: „Prinzipiell ist eine Abnahme des Gasverbrauchs messbar. Im ersten Halbjahr 2024 ist die Erdgasabgabe von ‘vorarlberg netz’ um 6,7 Prozent gesunken.“
Abhängigkeit in Österreich immer noch groß
Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass der Füllstand von Österreichs Gasspeicher ein Thema ist? Die Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas ist historisch gewachsen, wie Herbert Lechner, der ehemalige wissenschaftliche Leiter der Österreichischen Energieagentur (AEA), in seiner Analyse „An der Gasleine“ analysiert hat. In den Jahren des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg stieg der Bedarf an Gas rasch. Die inländische Gasförderung konnte den Verbrauch nicht mehr abdecken, die Suche nach Lieferanten im Ausland begann. Als erstes westeuropäisches Land schloss Österreich einen Liefervertrag mit der damaligen UdSSR ab.
Im Laufe der Jahrzehnte stieg der russische Anteil an den Importen von etwa 45 Prozent auf etwa 80 Prozent – und das trotz internationaler Warnungen vor dem neuen politischen Druckmittel Russlands auf westliche Länder. Eine schwedische Regierungsagentur zählte etwa von 1991 bis 2006 international 55 Fälle, in denen Russland bzw. sein Staatskonzern Gazprom Lieferungen gestoppt oder damit gedroht hätte. Der damalige OMV-Konzernchef Rainer Seele unterzeichnete 2018 trotzdem die Verlängerung der Lieferverträge mit Gazprom bis 2040. Beim öffentlichen Vertragsschluss in Russland standen im Hintergrund: Der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und der russische Präsident Wladimir Putin.
Ob die Liefereinschränkungen seit 2021 nach Österreich eine Auflösung bereits rechtfertigen, ist nicht klar. Aktuell prüft eine Kommission unter Vorsitz von Irmgard Griss die unter Verschluss gehaltenen Verträge. „Die Gas-Unabhängigkeitskommission wird bis Herbst erste Ergebnisse vorlegen. Der genaue Zeitplan wird von der Kommission festgelegt. Der Abschlussbericht ist bis Ende des Jahres geplant”, heißt es auf Nachfrage aus dem Klimaministerium.
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Daseinsvorsorge privatwirtschaftlich geregelt
„Gasimport und daraus resultierend die Versorgungssicherheit – ein zentraler Bestandteil der Daseinsvorsorge – wurden in der Vergangenheit politisch als privatwirtschaftliche Angelegenheit eingestuft“, betont Lechner. Es benötige „ein neues Verständnis von Risikobewertungen auf Basis fundierter und ergebnisoffener Analysen“, schreibt Lechner weiter.
In den vergangenen zwei Jahren hat sich Österreich bemüht, die Abhängigkeit zu reduzieren. Dazu gehöre die Unterstützung der gemeinsamen Gaseinkaufsplattformen auf EU-Ebene oder das Gasdiversifizierungsgesetz, informiert das Klimaministerium. Blickt man auf die monatlichen Updates von Österreichs Energieinfo-Portal energie.gv.at zeigt sich aber für die vergangenen Monate ein relativ stabiler Trend: Im Juni wurden 83 Prozent des Gases aus Russland importiert. Im Mai waren es 90 Prozent und im April 81 Prozent.
Die Frage ist also: Ist russisches Gas wirklich so billig? Die Preise erreichten Anfang des Vorjahres ein historisches Hoch für die privaten Haushalte. Wie sich in den folgenden Monaten zeigte, war Österreich im europäischen Vergleich ein Ausreißer. Nutzten die Verträge mit langer Laufzeit Österreich also gar nicht?
Massive Teuerung
“Der für uns relevante Gaspreis vor der Corona-Pandemie und besser auch vor der europäischen Staatsschuldenkrise betrug rund 25 Euro / MWh (Durchschnitt der Jahre 2011-2014). Da sind wir heute auch. Die jüngeren Ausreißer nach oben dürften eher dem Nahostkonflikt geschuldet sein. Zwischendurch sind die Preise aber extrem gestiegen”, sagt Ökonom Sebastian Koch, zuständig für Konjunktur und Makroökonomie beim Forschungsinstitut IHS.
Der extreme Preisanstieg dürfte auf die Handlungen Russlands zurückzuführen sein, ergänzt Koch: “Die von Russland kontrollierten Gasspeicher wurden im September 2021 nach der Heizperiode nicht wie üblich befüllt. Das hat die Preise bereits in der zweiten Jahreshälfte 2021 stark steigen lassen.” Die Erdgas-Großhandelspreise im Euroraum vervielfachten sich bereits 2021, also vor Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, wie auch die Österreichische Nationalbank in einem Bericht darlegt. Dieser Anstieg erfolgte somit nicht aufgrund von EU-Sanktionen und russischen Gegenmaßnahmen. “Für mich ist das ein klares Zeichen, dass unsere Abhängigkeit von russischem Gas vom Kreml ausgenützt wird”, sagt Koch.
Da die Verträge mit Russland unter Verschluss sind, können keine gesicherten Aussagen getroffen werden, wie billig russisches Gas ist, oder wer davon profitiert. Derzeit wirken die Gaspreise zwar inflationsdämpfend (-0,25 Prozentpunkte), wie Koch berichtet. Allerdings habe das auch damit zu tun, dass Österreich einen im Vergleich überaus hohen Anstieg der Haushaltsgaspreise hatte, so Koch, und “nur sehr langsam wieder von diesem Niveau herunterkommt”.
Der langsame Preisabfall habe wiederum mit der Einkaufsstrategie der Energielieferanten – und damit der Weitergabe der Preisimpulse vom Großhandelsmarkt an die Endkonsumenten zu tun. Das führt alles dazu, dass Preisimpulse zeitversetzt bei den Endverbrauchern ankommen. “Das bedeutet auch: während in so gut wie allen anderen Ländern die gesunkenen Großhandelspreise bereits an die Endkonsumenten weitergegeben wurde, kommt das bei uns erst jetzt so langsam an”, sagt Koch.