Rechtsruck auch bei uns
Dass die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) bei der jüngsten Landtagswahl in Thüringen stärkste Partei wurde, in Sachsen diesen Platz nur knapp verfehlte und es in zwei Wochen in Brandenburg ähnlich aussehen wird, lässt sich nicht als Besonderheit ostdeutscher Länder kleinreden. Bei den Umfragen für die Bundestagswahl des nächsten Jahres liegt zwar die CDU mit großem Abstand an der Spitze, aber zweitstärkste Partei noch vor der SPD könnte die AfD werden. Das zeigt, dass die „Brandmauer gegen rechts“, also die Absage jeglicher Zusammenarbeit mit der AfD, die Wählerschaft keineswegs abschreckt. Ihre Standfestigkeit wird angesichts der Notwendigkeit, alle anderen Parteien für eine Regierungszusammenarbeit unter einen Hut zu bringen, noch auf eine harte Probe gestellt werden.
„Dieses Reservoir müsste eigentlich nach wie vor groß sein.“
Es gibt keinen Automatismus, nach dem eine stärkste Partei auch an der Spitze der Regierung stehen soll. Gelegentlich kommt es anders. So hatte 2011 in Baden-Württemberg die CDU als stärkste Kraft im Landtag gegenüber Grünen und SPD das Nachsehen und nach der Nationalratswahl 1999 gelang es der Wolfgang Schüssel vom dritten Platz aus mit Hilfe der FPÖ die stimmenstärkste SPÖ auszubooten. So wie es den Anschein hat, könnte ein solches Schicksal diesmal der FPÖ blühen. Fall sie nicht doch noch von der ÖVP überholt wird, liegt der Ball zunächst beim Bundespräsidenten. An der zweckmäßigen Usance, zunächst der stärksten Partei den Auftrag zum Versuch einer Regierungsbeteiligung zu erteilen, wird er schwer vorbeikommen, zumal das rasche Gelingen einer Dreierkoalition anderer Parteien als einzige Alternative keineswegs sicher ist. Ob Nehammer Bundeskanzler bleibt oder Kickl es wird, hängt dann nicht nur von der Stimmenverteilung am Wahlabend ab, sondern auch von der Kompromissfähigkeit der anderen Parteien.
Der Sog des europaweiten Rechtsruckes macht sich auch in den Prognosen für die Landtagswahl bemerkbar. Dass der ÖVP nach starken Verlusten die FPÖ so stark auf den Fersen ist, kann Bewegung in die Wahlwerbung bringen. Die Volkspartei wird die Entscheidung wohl auf die Frage zuspitzen, ob Landeshauptmann Wallner durch FPÖ-Obmann Bitschi abgelöst werden soll. Auch wenn das Risiko, dass die Landtagsabgeordneten von Grünen, SPÖ und Neos letztlich lieber Bitschi als Wallner zum Landeshauptmann wählen würden, gering sein dürfte, können mit den stark unterschiedlichen Vertrauenswerten der beiden nicht nur offenbar zurückhaltend gewordene bisherige eigene Wählerinnen und Wähler mobilisiert werden. Und dieses Reservoir müsste eigentlich nach wie vor groß sein.
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates (ÖVP) zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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