Die Qual nach der Wahl
Das mit selbsterfüllenden Prophezeiungen ist so eine Sache. Sie funktionieren so: Die Prognosen selbst sind dafür verantwortlich, dass sie auch eintreten. Wochenlang war von einem Zweikampf um den Sieg bei der Nationalratswahl die Rede. Und plötzlich ist er da, dieser Zweikampf. Die ÖVP befindet sich in Schlagdistanz zur FPÖ. Und die SPÖ muss sich das Duell von hinten ansehen, auch wenn sie gerne den Dreikampf herbeiredet.
Wie immer gilt bei Umfragen: Sie sind Momentaufnahmen, keine Prognosen. Sie bilden die Stimmung zu einem bestimmten Zeitpunkt ab. Die Nationalratswahl ist in zwei Wochen, es kann sich also noch vieles tun. Aus dem Ergebnis lassen sich allerdings schon einige Thesen ableiten.
Erstens: Wer mit wem ist völlig offen, aber die ÖVP befindet sich in der besten Position und hält sich alle Wege frei. Auch Kickl bleibt eine Option, trotz der dauerhaften Betonung: Nicht mit ihm. Wer hätte etwa nach diesem untergriffigen Wahlkampf in Niederösterreich ernsthaft an Schwarz-Blau gedacht? Wenn es um die Macht geht, sind Differenzen überbrückbar. Die ÖVP kann auch mit der SPÖ und einem kleineren Partner (je nach Ergebnis). Die Chance, dass die Volkspartei weiterhin in der Regierung sitzt, ist also höher als jene, dass die FPÖ zurückkehrt. Platz eins oder zwei ist nicht so wichtig.
Zweitens: Die Verhandlungen könnten sich ziehen. Wer kann sich noch an die Regierung Schüssel I erinnern? Gewählt wurde am dritten Oktober, erst am 4. Februar gelobte Bundespräsident Thomas Klestil die schwarz-blaue Regierung an. Dem voran gingen zahlreiche Sondierungen und gescheiterte Verhandlungen. Dieses Szenario könnte den Österreicherinnen und Österreichern heuer wieder blühen.
Drittens: Sollte das Wahlergebnis den Umfragen ähneln, werden fast alle irgendwie zufrieden sein. Herbert Kickl freut sich über Platz eins. Karl Nehammer über den knappen Platz zwei und die aktive Rolle, die er bei Verhandlungen inne hat. Beate Meinl-Reisinger wäre zweistellig, Werner Kogler gar nicht mal so schlecht wie befürchtet und Dominik Wlazny hätte es auch geschafft. Nur bei der SPÖ würde am ersten Tag nach der Wahl die Führungsdiskussion wieder beginnen. Die ausgerufene Aufholjagd wird deshalb auch zum persönlichen politischen Überlebenskampf von Andreas Babler.
Viertens: Das Ergebnis wird sich auf die Landtagswahl auswirken – wenn auch noch unklar ist, wie. Der ÖVP könnte eine Niederlage sowohl einen Motivationsschub („jetzt erst recht“) als auch ein Motivationsloch bescheren. Die FPÖ wird ihre Anhänger vor allem dann mobilisieren, wenn sie den Regierungsauftrag nicht erhält („jetzt erst recht“, auch hier). Ein Sieg würde die FPÖ-Anhängerschaft ohnehin mobilisieren – bei Platz zwei wäre die Enttäuschung hingegen groß. Die SPÖ ist in Vorarlberg kleinere Brötchen gewohnt, ein bisschen Aufwind aus dem Nationalratswahlkampf würde ihr aber nicht schaden. Ein Debakel könnte auch für die Landespartei Folgen haben. Grüne und Neos müssen ebenfalls auf Rückenwind aus Wien hoffen.
Fünftens: Landtagswahl und Nationalratswahl sind nicht miteinander vergleichbar. Bei der jüngsten VN-Umfrage kam die ÖVP auf 31 Prozent bei der Landtagswahl, aber nur auf 20 Prozent Stimmen in Vorarlberg bei der Nationalratswahl. Die Landesparteien können also auch nach der Nationalratswahl hoffen. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt – und auf Prophezeiungen sollte man in der Politik sowieso nichts geben.
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