Warum ein früherer Pensionsanstritt die bessere Option sein könnte

Politik / 15.09.2024 • 08:00 Uhr
Mehr Netto vom Brutto: Die kalte Progression soll fallen.  APA/Barbara Gindl
Ohne Schutzklausel drohen bei einem Pensionsantritt im kommenden Jahr Verluste. Für Menschen, die schon in Pension gehen können, fehlen damit die Anreize, länger zu arbeiten.  APA/Barbara Gindl

Die verzögerte Aufwertung der Pensionskonten für 2025 gewinnt an Brisanz. Trotz des Fachkräftemangels hatten Arbeitnehmer bislang wenig Anreize, später in Pension zu gehen. Eine Pflegerin aus Götzis hätte 86 Euro pro Monat verloren, wenn sie ein halbes Jahr länger gearbeitet hätte. Nun kommt die Schutzklausel doch.

Wien, Schwarzach Die Österreicherinnen und Österreicher sollen später in Pension gehen. Das sei notwendig, um die Pensionen im finanzierbaren Rahmen zu halten, meinte Christine Mayrhuber, Vorsitzenden der Alterssicherungskommission, erst Ende August. Unterstützung bekam die Expertin dafür vom AMS. In der Praxis werden aktuell jedoch denjenigen, die freiwillig länger berufstätig bleiben wollen, Steine in den Weg gelegt. Eine diplomierte Pflegefachassistentin aus Götzis beschloss daher, ein halbes Jahr früher als geplant in den Ruhestand zu gehen. Ihr drohten laut Beratung massive Verluste bei der Höhe ihrer Pension.

Eigentlich hätte Frau S. noch bis April 2025, eventuell sogar darüber hinaus, weiter als Pflegefachassistentin arbeiten wollen. Nur durch Hinweise von anderen Betroffenen ist sie darauf aufmerksam geworden, dass ihr finanzielle Einbußen drohen würden. Sie konnte das kaum glauben, fragte bei der zuständigen Pensionsversicherungsanstalt (PVA) an und hatte die Auskunft schwarz auf weiß: Frau S. wird nach aktuellem Stand weniger Pension bekommen, wenn sie diese erst 2025 antritt. Und zwar bis an ihr Lebensende. Sie hat nun per 30. November gekündigt.

“Es kann doch nicht sein, dass jemand bestraft wird, der bereit wäre, über das reguläre Pensionsalter hinaus zu arbeiten”, sagt ihre Chefin Uschi Österle, Obfrau Krankenpflegeverein und Mobiler Hilfsdienst Göfis. “Wir schätzen sie sehr und verlieren vorzeitig eine tolle Mitarbeiterin. Ich kann ihre Beweggründe aber natürlich vollkommen verstehen”, fügt Österle hinzu.

Der Terminkalender von Uschi Österle ist stets voll.
Uschi Österle ist Obfrau Krankenpflegeverein und Mobiler Hilfsdienst Göfis. Sie schildert von einer angespannten Lage am Arbeitsmarkt, Fachkräfte werden überall gesucht. Mitarbeiterinnen, die länger arbeiten wollen, sind wertvoll.VN

Neue Schutzklausel noch nicht beschlossen

Länger arbeiten, weniger Geld: Wie ist das möglich? Gerade angesichts des gravierenden Fachkräftemangels in der Betreuung und Pflege, aber auch in anderen Bereichen? Im Bescheid der PV wird für die Berechnung die Schutzklausel für 2024 angewendet. Stichtag, damit sie noch schlagend wird, ist der 1.12.2024. “Bei der Pensionsberechnung für Stichtage in den Folgejahren 2025 oder später konnte noch keine Aufwertung berücksichtigt werden, da die entsprechenden Aufwertungszahlen noch nicht vorliegen”, heißt es weiter.

Konkret bekommt Frau S. also mit Stichtag 1. Dezember 2024 2778,19 Euro Bruttopension. Ab 1. Jänner 2025 wären es nur noch 2647,38 Euro. Netto handelt es sich um einen monatlichen Verlust von 86,90 Euro im Geldbeutel.

AK warnte schon im Jänner

Franz Beck, Experte für Sozialrecht bei der Arbeiterkammer (AK) Vorarlberg, berichtet den VN, dass die AK seit Anfang des Jahres vor dieser Situation warnt. Bei Personen, die 2024 in Pension gehen, wird die angesammelte Gutschrift am Pensionskonto trotz enormer Teuerung nur um 3,5 Prozent aufgewertet. Das ergibt somit eine Differenz zu den Pensionserhöhungen von 6,2 Prozent – die Schutzklausel gleicht hier aus.

Einen Vorschlag, wie die Schutzklausel für 2025 aussehen könnte, haben AK und ÖGB bereits im Juli an die Parlamentsparteien übermittelt. Doch bislang fehlt ein Gesetz, das den künftigen Pensionistinnen und Pensionisten die Sicherheit gibt, dass sie kein Geld verlieren. Daher kann auch die PVA in ihren Berechnungen diese nicht berücksichtigen. Die AK kritisiert daher neben den drohenden Verlusten auch den massiven Fehlanreiz, den Pensionsantritt nicht aufzuschieben. Die Bundesregierung lasse Zehntausende Männer und Frauen im Unklaren darüber, ob ein Aufschub des Pensionsantritts bis ins Jahr 2025 zu Pensionsverlusten führt oder nicht.

Schutzklausel kommt

Spät, aber doch wird die türkis-grüne Bundesregierung den Missstand nun zu beheben. In der Budget­ausschuss­sitzung am 12. Septemberhaben die Regierungsparteien einen Abänderungs­antrag eingebracht, mit dem unter anderem die Schutz­klausel für Pensions­antritte 2025 umgesetzt werden soll, sie soll vor der Wahl am 18. September durch den Nationalrat gehen.

Für einen Großteil der Pensions­antritte im Jahr 2025 soll die Pension durch eine Schutzklausel um etwa 4,5 Prozent erhöht werden, heißt es auf der Parlamentshomepage. Daraus würden geschätzte Mehr­auszahlungen in der Höhe von 64 Millionen Euro im Jahr 2025 und etwa 130 Millionen Euro ab 2026 entstehen. 

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Beck, der seit 20 Jahren in diesem Fachbereich arbeitet, kritisiert, dass die großen Organisationen in diesem Bereich – AK, Wirtschaftskammer, Gewerkschaftsbund und PVA – früher bei wesentlichen Abänderungen ihr Begutachtungsrecht nutzen konnten. “Die großen Organisationen begutachteten aus ihrem Blickwinkel. Das war Teil des tollen österreichischen Systems, dass jede Expertise von der Politik genutzt wird, um gröbere Schnitzer zu vermeiden.” Er befürchtet nun ähnliche “Schwächen” wie in der aktuellen Schutzklausel. Die AK hatte bereits wiederholt gefordert, diese zu beheben.

Schwierige Personalsuche im Pflegebereich

Für Uschi Österle und ihre Mitarbeiterin kommen diese Signale aus der Politik zu spät. Sie sucht intensiv nach einer Nachfolgerin ihrer bald pensionierten Mitarbeiterin. Angesichts des aktuellen schweren Fachkräftemangels ist das keine einfache Aufgabe: “Überall wird in der Pflege gesucht, auch in den Nachbargemeinden. Wir hätten sonst schon früher offiziell zu suchen begonnen.” Da Frau S. ihre Pensionierung bereits Anfang 2024 mit Österle besprach und einen langen Ausstieg plante, waren alle auf ein anderes Szenario eingestellt. “Unsere Mitarbeiterin hatte schon einige schlaflose Nächte. Denn erstens kam es anders, als sie den Zeitpunkt ihres Pensionsantritts geplant hatte und zweitens hat sie sich immer auch um den Verein gekümmert.”