Die entscheidende Frage

Politik / 27.09.2024 • 15:38 Uhr
Die entscheidende Frage

Was soll man zwei Tage vor der Nationalratswahl schreiben? Was könnte Sie, liebe Leserinnen und Leser, interessieren? Worauf spitzt sich an diesem Sonntag alles zu? Ich werde sicherlich keine Wahlempfehlung abgeben: Sie sind mündige und nicht zuletzt via „VN“ gut informierte Bürgerinnen und Bürger. Ich habe auch keinerlei Wissensvorsprung: Die Umfragen geben genau das her, was wir publizieren – die FPÖ zunehmend knapper vor der ÖVP, die SPÖ fast sicher dritte, Neos und Grüne ziemlich gleichauf. Wir Journalisten halten im Gegensatz zur weitläufigen Meinung keine Informationen zurück, egal ob sie uns gefallen oder nicht, außer sie beträfen rein private Angelegenheiten von Politikern.

Ich schildere Ihnen daher meinen eindrücklichsten Moment in diesen Monaten, und ich werde von dort auf die entscheidende Frage für diesen Sonntag zusteuern. Es war die erste Elefantenrunde dieses Wahlkampfes, ausgerichtet von den Bundesländerzeitungen in Salzburg. Ich durfte als Vertreter der „VN“ teilnehmen. Auf der Bühne des Landestheaters standen geschneuzt und gekampelt die Spitzenkandidaten. So weit, so üblich und so bekannt. Doch das eigentliche Zentrum des Interesses lag anderswo: In einer Loge am ersten Rang, über zwei Stunden angestrahlt von einem grellen Scheinwerfer, saß der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer von der ÖVP neben seiner freiheitlichen Stellvertreterin Marlene Svazek.

Warum konzentrierte sich das Interesse der Anwesenden so stark auf diese Loge? Weil zeitgleich Karl Nehammer zwei Plätze neben Herbert Kickl an einem Pult auf der Bühne stand. Weil sich der ÖVP-Obmann wieder und wieder vom FPÖ-Obmann abgrenzte und eine Koalition mit den Freiheitlichen im Bund ausschloss. Weil sich währenddessen der Salzburger ÖVP-Obmann und die Salzburger FPÖ-Obfrau, seit einem Jahr Koalitionspartner im Land, in der Loge ganz traut ein Stelldichein gaben. Folgerichtig: Nehammers verzweifelten Versuche, bei der FPÖ zwischen Bundes- und Landespartei zu differenzieren, scheiterten.

Möglicherweise ist es ja so, dass nur ich diese Spannung zwischen Bühne und Rangloge derart intensiv verspürte. Aber das hat schon einen Grund: Wir alle wählen am Sonntag eine Partei. Entscheidend für die Republik wird jedoch sein, welche Koalition danach das Land regiert. Und da gibt es nur zwei realistische Möglichkeiten: ÖVP–SPÖ–NEOS oder eben FPÖ–ÖVP. Muss ich hier ausführen, wo die Unterschiede liegen? Wohl nicht.

Ich habe immer wieder argumentiert, dass die Wählerinnen und Wähler ein Recht darauf haben, von den Parteien vor der Wahl Auskunft über künftige Koalitionsvarianten zu bekommen. Und sei es nur über die jeweiligen Präferenzen, abhängig von Verhandlungsergebnissen und von der Reihenfolge beim Wahlergebnis. Mit „Jetzt wird einmal gewählt, und dann sehen wir weiter.“ sollten wir uns jedenfalls nicht abfinden, das ist eine Verarschung (Verzeihung!) der Bürgerin, des Bürgers in der entscheidenden Frage.

Jedenfalls hat mich die Inszenierung in Salzburg gelehrt: Eine Koalition der Volkspartei mit den Freiheitlichen ist beinahe ebenso wahrscheinlich wie ÖVP– SPÖ–Neos, wortreiche Ausführungen über die Person Herbert Kickl hin oder her.