Betreutes Wählen
Das Abschneiden der Liste „Keine von denen“ bei der Nationalratswahl mit 0,57 % Stimmenanteil hat zwangsläufig wenig Aufmerksamkeit erzielt. Im Vorfeld war die Aufregung größer: Die Liste hat auf dem Stimmzettel, wo nur fünf Buchstaben zugelassen sind, als „KEINE“ kandidiert. Viele wohlmeinende, meist sehr kluge Leute waren mit der Entscheidung der Wahlbehörde, „KEINE“ zuzulassen, nicht einverstanden. Die Parteibezeichnung sei irreführend: Manche Wähler, die mit dem angebotenen Menü unzufrieden seien, könnten verleitet werden, ihren Protest dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass sie „KEINE“ ankreuzen, ohne zu wissen, dass sie eine Partei wählen.
„Die wahren Gründe für das Stadt-Land-Gefälle sind deutlich vielschichtiger.“
Die Wähler haben den Intelligenztest mit Bravour bestanden. Sie benötigen kein betreutes Wählen, sondern sind in der Lage, ihren eigenen Verstand einzusetzen. 0,57 % bedeuten zwar ein Plus von 0,11 % gegenüber 2019, als „Keine von denen“ noch unter der alten Parteibezeichnung „Wandel“ (auf dem Stimmzettel: WANDL) kandidierte. Es ist statistisch aber nicht messbar, ob das Wort „KEINE“ dazu auch nur den geringsten Beitrag geliefert hat.
Kein betreutes Wählen braucht auch die Landbevölkerung: Manche Leute wundern sich darüber, dass die Bevölkerung „auf dem Land“, wo der Migrantenanteil deutlich niedriger ist als „in der Stadt“, in wesentlich höherem Ausmaß der FPÖ zugeneigt ist als jene in der Stadt. Sie schließen daraus messerscharf, dass sich die Menschen „auf dem Land“ die Probleme mit der Migration nur einbilden und dort, wo ein hoher Migrantenanteil Normalität ist, das Zusammenleben ohnehin funktioniert. Wenn dem so ist, fragt man sich, weshalb Wien seine Asylberechtigten, die in großer Zahl ihre Familienmitglieder aus Syrien nachziehen lassen, unbedingt auf die anderen Bundesländer verteilen will.
Die wahren Gründe für das Stadt-Land-Gefälle sind deutlich vielschichtiger: Einer von mehreren ist, dass die Landbevölkerung das Gefühl hat, mit ihren Steuern die Sozialleistungen (nicht nur, aber auch) der Migranten in den Städten zu finanzieren und selbst in geringerem Ausmaß von staatlicher Wohltätigkeit zu profitieren. Ein anderer Grund mag sein, dass gerade die Wiener SPÖ die Arbeiterschaft zwar schon längst an die FPÖ verloren hat, aber viele Menschen im Gemeindebau und im öffentlichen Dienst der Partei an der Wahlurne noch immer die Treue halten. Wie auch immer: es besteht keine Veranlassung, Stadt und Land gegeneinander auszuspielen.
Peter Bußjäger ist Direktor des Instituts für Föderalismus und Universitätsprofessor in Innsbruck.
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