Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Österreich wählt Trump

Politik / 01.11.2024 • 16:56 Uhr

Der obenstehende Titel mag Sie gleich zweifach irritieren. Denn einerseits nehmen die Österreicher bis auf ein paar Doppelstaatsbürger natürlich nicht an den US-Wahlen teil. Andererseits würde – ohne belastbare Umfragen, zugegeben – keinesfalls eine Mehrheit unsere Mitbürger und Mitbürgerinnen für den pussy-grabenden, zum Sturm auf das Kapitol aufrufenden und generell völlig unberrechenbaren, vielleicht auch psychotischen Donald Trump stimmen. Und dennoch kann man mit etwas Fantasie eine entsprechende Mehrheit herleiten. Erlauben Sie mir dieses Gedankenexperiment – denn so absurd ist die Überlegung dann auch wieder nicht! Am kommenden Dienstag steht ja einiges auf dem Spiel. Ganz ohne Fantasie: Dies ist keine US-Präsidentenwahl wie jede andere. Angesichts der Tatsache, dass jener völlig unberrechenbare Mann wieder zum amerikanischen Präsidenten und damit zum noch immer mächtigsten Menschen der Welt werden kann, ist dieser Dienstag der wichtigste Tag für die Menscheit in Jahrzehnten.

Ganz ohne Fantasie: Dies ist keine US-Präsidentenwahl wie jede andere.“

Mein Gedankengang geht folgendermaßen: Vergangene Woche empfing der Nationalratspräsident der Republik Österreich Walter Rosenkranz den Regierungschef der Republik Ungarn Viktor Orban. Sehen wir darüber hinweg, dass der umstrittene Ungar als erster Gast des eben gewählten zweiten Mannes im Staat eine unschöne Optik erzeugt. Sehen wir darüber hinweg, dass es eine gewisse Unschärfe bezüglich der Frage gab, wie dieses Treffen zustande kam – laut Rosenkranz war das Treffen bereits vor seinem Amtsantritt fixiert worden, laut Orban danach! Sehen wir darüber hinweg, dass bis auf FPÖ-Chef Herbert Kickl, der Rosenkranz nominiert hatte, kein anderer Parteivorsitzender zu dem Treffen mit Orban geladen war! Sehen wir auch darüber hinweg, dass die EU-Flagge für das gemeinsame Foto mit Orban im österreichischen Parlament entfernt wurde! Konzentrieren wir uns darauf, was Viktor Orban über die US-Wahlen zu sagen hatte!

Orban hatte in Wien nämlich noch einen weiteren Termin. Die Schweizer Wochenzeitung „Weltwoche“ hatte zu einer Podiumsdiskussion mit Orban geladen. Dort erklärte der Regierungschef des EU-Landes und Nato-Mitglieds Ungarn, dass der Krieg in der Ukraine für den Westen verloren sei. Umso mehr hoffe er auf eine Wiederwahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten, der den Krieg schnell beenden würde. Er habe generell Vertrauen in Trump, weil dieser wie Putin „die Sprache der Macht“ spräche.

Liebe Leserinnen und Leser – sie wissen vielleicht schon, worauf ich hinauswill. Walter Rosenkranz hat sich nicht zufällig mit Viktor Orban getroffen. Er wie auch sein Parteichef Herbert Kickl teilen viele Ansichten mit dem Ungarn. Das beginnt bei der Migrationspolitik und endet mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vor der Frage, wer amerikanischer Präsident werden soll.

Jene 29 Prozent der Österreicherinnen und Österreich, die FPÖ gewählt haben, eine relative Mehrheit der Bevölkerung, haben also für Politiker gestimmt, die Donald Trump für den richtigen Präsidenten der USA halten. Selbst wenn ein Gutteil dieser 29 Prozent nicht Donald Trump wählen würden: Sie sollten sich zumindest darüber im Klaren sein, wen sie in Österreich gewählt haben.

Christian Rainer ist Journalist und Medienmanager. Er war 25 Jahre lang Chefredakteur und Herausgeber des Nachrichtenmagazins profil.