Johannes Huber

Kommentar

Johannes Huber

Verhandeln statt sondieren

Politik / 02.11.2024 • 07:15 Uhr

Die Meldung ist eine Zumutung gewesen: Anfang nächster Woche würden die Parteichefs Karl Nehammer (ÖVP) und Andreas Babler (SPÖ) weiter sondieren, hieß es am vergangenen Donnerstag. Der Zusatz, dass die Herbstferien für Vorbereitungen genützt worden seien, ändert nichts daran: Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat Nehammer am 22. Oktober nicht gebeten, allmählich auszuloten, was gehen könnte, sondern „umgehend Verhandlungen mit der Sozialdemokratischen Partei Österreichs aufzunehmen“. Er hat ihm keinen Sondierungs-, sondern einen Regierungsbildungsauftrag erteilt. Man könnte glauben, Nehammer habe es überhört.

„Es wäre darüber hinaus nötig, durch Bürgerforen und dergleichen möglichst viele Menschen zu Beteiligten zu machen, die sich ernst- und mitgenommen fühlen.“

Dabei hätte er Gründe, ins Tun zu kommen: Erstens ist eine Koalition mit der SPÖ sowie Neos oder Grünen ohnehin alternativlos für ihn. Zu deutlich hat er eine Zusammenarbeit mit Herbert Kickl (FPÖ) ausgeschlossen; vor und auch nach der Wahl. Zweitens nützt Kickl das bestehende Machtvakuum, um es zu füllen. Mit Hilfe des willfährigen Nationalratspräsidenten Walter Rosenkranz (FPÖ) gibt er den De-facto-Kanzler, empfängt den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban im Parlament und besiegelt mit diesem eine Art bilaterale Erklärung, die formal wertlos ist, aber den Eindruck vermittelt, Österreich und Ungarn würden gemeinsam antreten, die EU zu zerschlagen.

Drittens hat Österreich dringliche Probleme, die zu lösen sind. Allen voran die Budgetmisere. Und viertens bestätigt jeder Tag, an dem ÖVP und SPÖ nichts zusammenbringen, Kritiker (und damit auch Kickl), die überzeugt sind, dass Blau-Türkis von vornherein viel besser gewesen wäre.

Selbstverständlich ist es nicht einfach für Nehammer und Babler, sich zusammenzuraufen. Kann man sich fragen, wie das gehen soll. Befindlichkeiten dürfen jedoch keine Rolle spielen. Und inhaltlich muss es immer möglich sein, zu einer Lösung zu kommen. Die Sozialpartnerschaft, die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter hierzulande noch immer pflegen und die auch nach wie vor hohes Ansehen genießt, ist ein Vorbild dafür.

Abgesehen davon wird die künftige Regierung vielleicht sogar eher damit stehen und fallen, wie sie Politik macht: Seit Corona ist die Verbindung zum Volk in seiner Vielfalt schwer gestört, ja gekappt. Das ist umso verhängnisvoller, als in all den Krisen folgenreiche Entscheidungen zu treffen sind. Da wäre ein ständiger Austausch umso wichtiger, bei dem erklärt, argumentiert und (zivilisiert) gestritten wird. Sonst kommt es zu dem, was nun spürbar ist: Sehr viele Menschen haben das Gefühl, dass auf sie gepfiffen wird. These: Vor allem vor diesem Hintergrund kann Kickl mit dem Angebot punkten, ein „Volkskanzler“ zu werden, der nach oben tritt und nach unten dient.

Soll heißen: Nehammer und Babler wären gut beraten, sich nicht nur zugig zusammenzuraufen. Und zwar noch im November. Es wäre darüber hinaus nötig, bei dem, was sie letzten Endes mit Neos (oder allenfalls Grünen) angehen wollen, ja müssen, durch Bürgerforen und dergleichen möglichst viele Menschen zu Beteiligten zu machen, die sich ernst- und mitgenommen fühlen.

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