Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

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Politik / 05.11.2024 • 07:15 Uhr

Dass unser Bundespräsident nach einer Bandscheibenoperation das Krankenhaus wieder bald verlassen kann, ist nicht nur ihm als Privatperson zu wünschen. Es ist auch für die Innenpolitik wichtig. Zwar ist für den Fall einer notwendigen Vertretung vorgesorgt. Dass aber in einer Zeit der Regierungsbildung bis zu zwanzig Tage lang ein und dieselbe Person sowohl die Aufgaben und Befugnisse des Bundeskanzlers als auch des Bundespräsidenten wahrnimmt, könnte zu merkwürdigen Konsequenzen führen. Karl Nehammer würde sozusagen sich selbst über den Fortgang der Regierungsverhandlungen berichten.

„Die Sondierungsgespräche hätte man sich sparen können.“

Dass Alexander van der Bellen den Obmann der nach der Nationalratswahl zweitstärksten Partei als ersten mit der Regierungsbildung betraute, hat für Kritik aus ganz unterschiedlichen Lagern geführt. Viele fürchten, dass damit FPÖ-Obmann Kickl in eine Märtyrerrolle gedrängt werde. Keine Regierung zustand zu bringen, hätten sie lieber Kickl selbst verkünden lassen. Der Bundespräsidenten machte geltend, dass bei einem Regierungsbildungsauftrag an Kickl ohnedies nichts herausgekommen und nur unnötig Zeit vertan worden wäre. Diese Ausgangslage war aber schon am Wahlabend klar. Alle anderen Parteien wollten keinen Bundeskanzler Kickl und die FPÖ selbst keinen anderen. Die vom Bundespräsidenten initiierten Sondierungsgespräche hätte man sich also sparen können. Fünf Wochen nach der Nationalratswahl scheinen die Regierungsverhandlungen von ÖVP und SPÖ nun endlich Fahrt aufzunehmen, das hätte man aber zügiger haben können. Dass die stärkste Partei nicht unter allen Umständen den Bundeskanzler stellt, ist nicht neu. Nach der Nationalratswahl 1999 fand die FPÖ nichts dabei daran mitzuwirken, dass nicht der Kandidat der mit deutlichem Abstand stärksten Partei, der SPÖ, sondern mit Wolfgang Schüssel der Obmann der drittstärksten Partei Bundeskanzler wurde.

Dass ein von der FPÖ gestellter Nationalratspräsident für Aufregung sorgen wird, war vorhersehbar. Kritik daran, dass er als Ersten den umstrittenen ungarischen Präsidenten Orban zu einem Besuch empfing, ist vor dem Hintergrund des kurz nach Beginn der Feindseligkeiten gegen die Ukraine für Putin von den Spitzen der Republik ausgerollten roten Teppich allerdings zu relativieren. Problematisch ist allerdings, dass Nationalratspräsident Rosenkranz den offiziellen Gesprächstermin zu einer Veranstaltung ausschließlich mit FPÖ-Mandataren umfunktionierte. Sein Versprechen, das Amt konsensual und im Einvernehmen mit den Nationalratsfraktionen auszuüben, hat sich rasch verflüchtigt. Der mit dem Privileg, fünf Jahre lang nicht abgewählt werden zu können, verbundenen Versuchung des Machtmissbrauchs sollte er besser als beim ersten Anwendungsfall widerstehen können.

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates (ÖVP) zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.