Wallner und Bitschi im Doppel: Wie es mit Gemeinsamer Schule und Straßenbahn weitergeht

Landeshauptmann und Landesstatthalter sprechen über ihre Pläne, schärfere Sanktionen für Zuwanderer und darüber, wie sich einstige Rivalen überhaupt wiederfinden konnten. Beim gemeinnützigen Wohnbau sehen sie noch Luft nach oben.
Bregenz Aus einstigen Rivalen wurden Partner. Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) und Landesstatthalter Christof Bitschi (FPÖ) bilden nun die Spitze der Vorarlberger Landesregierung. Im Mittelpunkt steht bei ihnen der Leistungsgedanke. Mit den Maßnahmen für das leistbare Wohnen stützen sie sich auf das schwarz-grüne Erbe. Im Verkehr wollen sie wieder “gesamtheitlicher” denken und große Straßenbauprojekte wie den Stadttunnel und die S18 forcieren. Die Möglichkeit einer Straßenbahn im unteren Rheintal lässt man prüfen, sagt Bitschi. In der Zuwanderung setzt Schwarz-Blau auf Sanktionen. Landeshauptmann und -statthalter nennen diese Leistungsanreize. Der Gemeinsamen Schule erteilen sie keine Absage.
Landesstatthalter Christof Bitschi. Haben Sie sich schon an Ihren neuen Titel gewohnt?
Bitschi Es braucht noch ein wenig Zeit.
Sie sind Stellvertreter von Markus Wallner. Vor 2,5 Jahren sagten Sie, dass Sie jedem Handwerker mehr über den Weg trauen als dem Landeshauptmann. Wie hat sich das aufgelöst?
Bitschi Wir haben beide erkannt, dass wir damals in unterschiedlichen Positionen waren. Ich war Oppositionschef, er Regierungschef. Wir haben auch im Wahlkampf und in den Verhandlungen schnell gesehen, dass wir ein gemeinsames Ziel haben und es darum geht, das Land weiterzuentwickeln.
Wie viel Show ist dabei, wenn sich eine Position so schnell ändern kann?
Bitschi In Vorarlberg ist relativ wenig Show dabei, sondern vielmehr Sachpolitik und Hausverstand.
Wie viel Show machten Sie in der Opposition?
Bitschi Es ist eine andere Rolle, auch hier war weniger Show dabei.

Herr Landeshauptmann, wenn Sie das Vertrauen in den Regierungen vergleichen: Ist es zu den Grünen größer gewesen oder jetzt zur FPÖ?
Wallner Es war spürbar – vor allem dann im Wahlkampf -, dass der Unterschied zu den Grünen größer geworden ist. Ich hatte schon länger den Eindruck, dass die Grünen sich auf Opposition in Bund und Land vorbereiten.
Warum ist auf Landesebene Schwarz-Blau möglich, warum auf Bundesebene nicht? Liegt das an der FPÖ in Vorarlberg oder an der ÖVP?
Wallner Das liegt an beiden. Ich halte von diesem Filialdenken nichts, weder innerhalb der Partei noch innerhalb der Politik. Wir setzen einen sichtbaren, wohltuenden Akzent. Pragmatisch, sachlich, lösungsorientiert.
Herr Landesstatthalter, beim Thema leistbares Wohnen wird die bisherige Politik im Land fortgeschrieben. Hat Schwarz-Grün in dem Bereich also genug getan? Neue Akzente finden sich im neuen Regierungsprogramm nicht.
Bitschi Natürlich gab es in den vergangenen Jahren schwierige Bedingungen im Wohnbau. Ziel dieser Landesregierung ist es, deutlich mehr zu bauen, als in den vergangenen fünf Jahren. Uns geht es ums Umsetzen; darum, sehr rasch anzukurbeln, dass Programme wie Wohnen550 umgesetzt werden.
Die drei gemeinnützigen Wohnbauträger sagen, dass sie maximal 550 Wohnungen im Jahr schaffen. Ist das genug?
Bitschi Wir sind in enger Absprache mit den Wohnbauträgern und versuchen das Maximale herauszukitzeln.
Wallner Wir müssen im Wohnbau nicht alles neu erfinden. Wir konnten gegen Ende der vergangenen Legislaturperiode im Wohnbau auch noch zahlreiche neue Initiativen auf den Weg bringen, deren Umsetzung wichtig ist. Jetzt geht es darum, die Hausaufgaben zu machen: Wohnen550, Wohnbauförderung, neue Mietkauf-Modelle. Man kann auch von großen Zahlen träumen. Es muss aber mit der Wirtschaftslage umsetzbar sein. Ich glaube, dass einiges mehr möglich ist.
Einiges mehr als die 550 gemeinnützigen Wohnungen pro Jahr?
Wallner Ja, ich glaube, dass mehr drinnen ist.
Wäre ein weiterer Wohnbauträger denkbar?
Wallner Gegen einen vierten, fünften, sechsten, zehnten Wohnbauträger hätte ich gar nichts. Es ist jeder mehr als willkommen. Ein Träger muss aber da sein, Grundstücke haben, mit den Gemeinden kooperieren und Projekte machen. Das hat eine ordentliche Vorlaufzeit.

Wie geht es mit der Gemeinsamen Schule weiter? Im Regierungsprogramm heißt es, man unterstütze die schulartenübergreifende Weiterentwicklung der Schulen der Zehn- bis 14-Jährigen.
Wallner Für eine linke Gesamtschule bin ich nie eingetreten, für eine Weiterentwicklung dieses Schultypen schon, aber nicht von oben herab. Eltern, Schulträger und Pädagogen müssen zustimmen. Wenn auch nur eine AHS im Land kommt und sagt, wir steigen in so ein Modell ein, dann eröffnen wir die Möglichkeiten für den Schulversuch.
Die FPÖ ist klar für das differenzierte Schulsystem. Widerspricht eine Modellregion Gemeinsame Schule ihrer Position?
Bitschi Es ist wichtig, dass der Schultypus weiterentwickelt werden kann und wir aufhören nur über Überschriften zu diskutieren.
Wäre die Modellregion bzw. das Pilotprojekt erfolgreich, könnte das am Ende auch das Ende des differenzierten Schulsystems bedeuten.
Bitschi Wenn es Schulen gibt, die das umsetzen wollen, können sie gerne in Gespräche eintreten. Bis dato habe ich nicht das Gefühl, dass es in den nächsten Jahren so sein wird. Es geht es um die grundsätzliche Weiterentwicklung und darum, sich anzusehen, welche Probleme es im Schulbereich tatsächlich gibt und nicht welche Überschriften.

Herr Landesstatthalter, abseits von Stadttunnel und S18, wie unterscheiden Sie sich inhaltlich vom einstigen Grünen Mobilitätslandesrat Daniel Zadra?
Bitschi Dazu müssten wir ein eigenes Interview machen.
Es gibt ein Bekenntnis von Ihnen, dass Öffis, Radwege, etc. weiter ausgebaut werden.
Bitschi Der große Unterschied ist, dass in dieser Regierung die Infrastruktur wieder gemeinsam gedacht wird. Die Aufsplittung in öffentlicher Verkehr und Straßenbau war für mich nicht logisch. Wir werden überall, wo es Sinn macht, den öffentlichen Verkehr, die Radwegnetze ausbauen. Aber es gibt auch ganz klare Bekenntnisse zu wichtigen, großen Infrastrukturprojekten im Verkehrsbereich. Es ist nicht angedacht, den Stadttunnel zu stoppen oder zu reduzieren. Und es ist unser großes Ziel, bei der S18 im Jahr 2025 endlich die entsprechenden Schritte zu setzen.
Wird am Schluss wieder mehr in die Straße investiert? Es ist auch von neuen Umfahrungen die Rede. Bleibt dann weniger für die Öffis?
Bitschi Für mich gibt es nicht die Aufteilung, entweder Straßenbau oder öffentlicher Verkehr. Gemeinsam ist beides wichtig. Wir haben aber budgetär schwierige Zeiten vor uns.
Wallner Unabhängig der Regierungsform war immer klar, wir bauen den öffentlichen Verkehr aus. Das hat sich bewährt. Wir müssen uns aber auch mit den Fragen beschäftigen: Was passiert im Großraum Unteres Rheintal, in der Anbindung nach Deutschland, was passiert in Bregenz, wie schaffen wir eine Verdoppelung des Güterbahnhofs …
… das sind zwei Stichworte. Erstens Unteres Rheintal: Die Grünen wollten eine große Ringstraßenbahn bauen. Wird es die mit Ihnen auch geben?
Bitschi Mein Wissensstand ist es, dass es 2019 eine Prüfung gegeben hat, mit negativem Ergebnis. Wir werden aber jetzt noch einmal eine Prüfung ansetzen. Wir werden schauen, ob es im Jahr 2024 Sinn macht oder nicht und dann eine rasche Entscheidung treffen.
Stichwort Güterbahnhof: Wo soll es denn einen Gleisausbau Richtung zweigleisig oder dreigleisig geben?
Wallner Die Verbindung zum Güterbahnhof und die Verbindung raus sind dabei zentral. Das ist sehr ambitioniert und visionär. In der Endvorstellung wollen wir eine Verdoppelung vom Güterbahnhof, in Wolfurt ein neues Betriebsgebiet mit 5000 Arbeitsplätzen im Potenzial, einen Vollanschluss an die Autobahn und eine leistungsfähige Verbindung nach Deutschland.

Die FPÖ wünschte sich ein Familiengeld, das zusammen mit dem Kinderbetreuungsgeld 1000 Euro ausmacht, wenn sich ein Elternteil entscheidet, länger beim Kind daheimzubleiben. Nun soll es eine Erweiterung des Familienzuschusses geben. Kann man davon ausgehen, dass es unterm Strich diese 1000 Euro werden?
Bitschi Es wird eine Streckung des Familienzuschusses bis aufs erste Lebensjahr geben, damit die Familien selbst entscheiden können, in welche Richtung sie gehen können. Parallel wird es auch einen Ausbau der Kinderbetreuung geben.
Wird sich das Ganze in der Größenordnung von 1000 Euro abspielen?
Bitschi In Kombination mit dem Kinderbetreuungsgeld ja, aber natürlich sozial gestaffelt…
Wallner … und, der Familienzuschuss ist gebunden an die Erwerbstätigkeit. Einer der beiden Eltern muss erwerbstätig sein, sonst gibt es keinen Zuschuss. Das ist weit entfernt von einer Herdprämie.
Setzt man da nicht auch einen Anreiz, der Frauen teilweise in eine Pensionsfalle schickt? Das Pensionskonto der Frau wächst dann ja nicht sonderlich, auch gibt es kein eigenes Einkommen, was wiederum Abhängigkeit bedeutet. Haben Sie da keine Bedenken?
Wallner Nein, weil der Familienzuschuss von derzeit 18 Monaten auf maximal 34 Monate erhöht wird. Wir reden nur von einer Vorverlagerung und nicht von einer Verlängerung nach hinten. Eine Verlängerung nach hinten würde ich nicht machen.
Wann kommt der neue Familienzuschuss?
Wallner 2025 wird es sich aufgrund des Budgets nicht ausgehen. Wir haben es für 2026 ins Auge gefasst.

Was passiert mit Menschen, die in gemeinnützigen Wohnungen sind, aber kein Deutsch sprechen?
Bitschi Wir haben nicht gesagt, dass jemand die Wohnung verliert, wenn er die deutsche Sprache nicht beherrscht. Zukünftig ist es so, dass du belohnt wirst, wenn du die deutsche Sprache lernst oder eine gewisse Zeit im Land bist. Dann rutscht man im Punktesystem nach vorne. Wir werden sehr rasch ein Modell entwickeln.
Welches Deutschlevel ist das Ziel?
Bitschi Es wird um A2 und die grundlegenden Deutschkenntnisse gehen.
Asylberechtigte werden in der Regel nicht bei A2 sein. Müssen sie dann in der Grundversorgung bleiben, bis Sie auf das Niveau kommen?
Wallner Sie haben in der Regel keinen Startvorteil, weil die Aufenthaltsdauer eine Rolle spielt. Sie sind tendenziell also eher weiter hinten.
Wenn Sie noch nicht auf A2 sind, rutschen Sie auf der Warteliste weiter nach hinten?
Wallner Ja.
Bitschi Wenn sie eine Wohnungsnot haben, rutschen sie im Punktesystem massiv nach vor, was viele kritisiert haben. Darum möchten wir den Gedanken verstärken, dass sich das Deutschniveau und die Aufenthaltsdauer positiv auf das Punktesystem auswirken.
In der Sozialhilfe gibt es bereits Sanktionen. Soll es hier nochmals Verschärfungen geben? Es gab 2023 bei 14 von insgesamt 3700 Asylberechtigten Kürzungen.
Wallner Man darf nicht vergessen, dass Ermahnungen schon vorgelagert stattfinden. Kürzungen stehen erst am Ende der Sanktionskette. Wenn es zu bundesweiten Änderungen kommt, werden wir das natürlich auch im Land anpassen.
Dass schneller gekürzt werden kann?
Wallner Ich gehe davon aus, dass das gesamte Sozialhilfesystem in Österreich zur Diskussion stehen wird. Ich würde zum Beispiel nicht jedem Asylberechtigten vom ersten Tag weg die volle Sozialhilfe geben. Es braucht eine Wartezeit. Die Sanktionsmöglichkeiten halte ich im Moment für ausreichend.
Bitschi Der gemeinsame Zugang ist, dass der Leistungsgedanke im Sozialbereich wieder in den Vordergrund rutscht. Wir brauchen ein soziales Netz, das all jene auffängt, die wirklich Hilfe benötigen. Aber das Verfestigen einer sozialen Hängematte gilt es abzubauen.

Bei Asylwerbern wollen Sie mit dem “Vorarlberg-Kodex” Sanktionsmöglichkeiten einführen. Wo können die Sanktionen greifen?
Wallner Der Spielraum ist eng und rechtlich geprüft und geht nur beim Taschengeld. Die Kürzung liegt in der Schublade.
Kürzung im Sinne von Halbieren oder Streichung?
Wallner Halbierung ist vorgesehen.
Ab wann?
Wallner Im ersten Quartal 2025 wird das kommen.
Bitschi Jeder, der zu uns kommt, hat die Möglichkeit, sich zu entscheiden, ob er sich anpasst und integriert. Wenn jemand die Entscheidung trifft, dass er das nicht machen will, muss er die Konsequenzen spüren.
Die FPÖ fordert bei gemeinnütziger Arbeit für Asylwerber einen Stundenlohn von 1,5 Euro, in Vorarlberg gibt es vier Euro. Wie geht es hier weiter?
Bitschi Das sind Detaildiskussionen. Grundsätzlich geht es darum, den Menschen klarzumachen, dass sie auch was leisten müssen.
Wallner Wir haben keine Verschlechterung vereinbart. Wir werden einiges an Energie brauchen, das Angebot an gemeinnütziger Arbeit in den Gemeinden aufzubauen. Ich meine, die Höhe von vier Euro ist nicht schlecht gewählt.