Ein ungewöhnliches Trio: ÖVP, SPÖ und Neos nehmen Koalitionsverhandlungen auf

Politik / 18.11.2024 • 16:14 Uhr
ABD0044_20241118 – WIEN – …STERREICH: ZU APA0156 VOM 18.11.2024 – SP…-Chef Andreas Babler, …VP-Chef Karl Nehammer und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger am Montag, 18. November 2024, im Rahmen von Pressestatements nach dem heutigen GesprŠch mit …VP und SP… zur Regierungsbildung in Wien im Palais Epstein in Wien. – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
SPÖ-Chef Andreas Babler, ÖVP-Chef Karl Nehammer und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger treten in Koalitionsverhandlungen. APA/HELMUT FOHRINGER

Schwarz-Rot-Pink ist eine Konstellation, die es so in Österreich noch nicht gab. Auch mit dem Dreierformat beschreiten die Parteien Neuland in der Republik. Laut Politologin müssen sie beweisen, warum dieses Experiment gelingen soll.

Wien Nun ist es fix: ÖVP, SPÖ und Neos treten in Koalitionsverhandlungen. Es ist das erste Mal seit 1945, dass Koalitionsverhandlungen im Dreierformat geführt werden. ÖVP und SPÖ hätten zu zweit zwar eine Mehrheit im Nationalrat, allerdings nur eine äußerst knappe mit einem Mandat Überhang. Auch wenn Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer am Montag betonte, dass das Land Aufbruch, Veränderung und Zuversicht brauche, muss gespart werden. Laut SPÖ-Chef Andreas Babler könne aber “in diese krisenhafte wirtschaftliche Lage hineinzusparen nicht der Weisheit letzter Schluss sein”.

Den Unterschied zwischen Sondierungsgesprächen und Regierungsverhandlungen nennt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle einen „semantischen“. Denn schon zuvor wurden grundlegende Themen besprochen. “Man hat damit aber ein wenig den Druck herausgenommen, nach außen schon Ergebnisse kommunizieren zu müssen. Das hat sicher etwas mit der Steiermarkwahl am Wochenende zu tun”, sagt Stainer-Hämmerle.

Reduzierung des hohen Defizits

Es ist keine einfache Ausgangsposition, von der aus die drei Parteien jetzt starten. Wie vor rund zwei Wochen – also erst nach der Nationalratswahl – bekannt wurde, erwartet der Fiskalrat für die Jahre 2024 und 2025 ein höheres Budgetdefizit als zuletzt prognostiziert. Für heuer rechnen die Expertinnen und Experten mit einem Minus von 3,9 Prozent und für kommendes Jahr von 4,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Budget und Steuern sind also Knackpunkte der anstehenden Koalitionsverhandlungen. Eine konkrete Zahl zum Konsolidierungsbedarf nannte Nehammer nicht. Die bereits eingesetzte Budgetgruppe werde jedenfalls bei allen Vorhaben miteingebunden. Während die SPÖ im Wahlkampf eine Erhöhung der Körperschaftssteuer sowie eine Vermögens- und Erbschaftssteuer gefordert hat, lehnt die ÖVP neue Steuern ab.

Babler betonte, dass es keine “Minimalkompromisse” geben solle. “Es gibt zwei Möglichkeiten: Minimalkompromisse oder einander Leuchtturmprojekte zu gönnen”, sagt die Politologin. Neos und SPÖ könnten sich eine Bildungsreform wünschen, betont Stainer-Hämmerle und nennt als mögliche Option etwa mehr Versuche in Richtung Gesamtschule. Neos und ÖVP hätten zum Beispiel bei Gewerbefreiheit oder Entbürokratisierung Schnittmengen. Bei den Steuern werde hingegen wohl keine Partei nachgiebig sein. “Am Ende braucht jeder einen Erfolg und eine Motivation, aber darf die Kernklientel nicht ganz vor den Kopf stoßen.”

“Ich würde aber prinzipiell in Frage stellen, dass man nur regieren und gestalten kann, wenn man Geld verteilt. Man kann schon auch Strukturen verändern”, sagt Stainer-Hämmerle. Ein leidtragender Bereich, in dem die drei Parteien ideologisch nicht weit auseinanderliegen, könnte die Gesundheit sein, wenn der Sparstift angesetzt wird.

Sieben Verhandlungsgruppen

Die drei Hauptverhandler führten auch für sie zentrale Themen an, Meinl-Reisinger etwa Bildung, Integration und Wirtschaftsaufschwung. Babler nannte unter anderem den Kampf gegen die Teuerung, die Gesundheit und die Reduzierung des hohen Defizits. Nehammer befand, es seien Leistungsgerechtigkeit für alle, die hart arbeiten und eine Migrationspolitik, die die Menschen nicht überfordere, vonnöten. All diesen Themen wird man sich nun in Untergruppen widmen: “Hunderte Menschen sind an dem Prozess beteiligt”, kündigte Nehammer an. Dem Vernehmen nach gibt es sieben Verhandlungsgruppen, die ab Donnerstag den inhaltlichen Prozess umsetzen.

Wie lange die Koalitionsverhandlungen dauern, lässt sich noch nicht abschätzen. “Wir bemühen uns, so schnell wie möglich zu verhandeln und gleichzeitig so lange wie nötig”, meinte Nehammer.

FPÖ: “Schwarzer Tag für Demokratie”

Wie zu erwarten kam heftige Kritik von der FPÖ. Sie war als stärkste Partei aus der Nationalratswahl hervorgegangen, hatte aber keinen Koalitionspartner finden können. FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz sprach in einer Aussendung von einem “schwarzen Tag für die Demokratie in Österreich” und einer “Austro-Ampel der Verlierer”.

Prinzipiell wolle jeder Wähler und jede Wählerin ihre Partei in der Regierung sehen, erläutert Stainer-Hämmerle: “Daher können wir auch davon ausgehen, dass eine Mehrheit diese Koalition unterstützt.” Jedoch, ergänzt sie, “wenn sie inhaltlich, aber auch atmosphärisch und kommunikativ keinen guten Job machen, dann ist das für ÖVP und SPÖ die letzte Chance”. Die Politologin: “Das Übergehen der stärksten Parteien ist ein Bruch mit der Tradition und birgt auch ein gewisses Risiko. Man muss dann schon auch beweisen, warum man dieses Experiment der Dreierkoalition eingegangen ist.”