Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Blau-Schwarz wird wahrscheinlicher

Politik / 24.11.2024 • 19:57 Uhr

Das Steiermark-Ergebnis wie von mir befürchtet: Christopher Drexlers Tage sind gezählt. Karl Nehammer wackelt. In diesen Sätzen spiegelt sich der Zustand einer politischen Elite, die zunehmend an Rückhalt verliert – sowohl intern als auch in der Bevölkerung. Die Dynamik, die sich daraus ergibt, ist beunruhigend. Die Wahrscheinlichkeit eines Bündnisses zwischen der FPÖ und der ÖVP im Bund steigt und mit ihr die Gefahr, dass Österreich einen weiteren Schritt in Richtung autoritärer Politik macht.

Der Fokus auf Drexler und Nehammer ist dabei kein Zufall. In der Steiermark zeigen sich die Risse innerhalb der ÖVP immer deutlicher. Der Landeshauptmann wirkt isoliert, seine Partei scheint orientierungslos. Gleichzeitig hat Nehammer auf Bundesebene mit einer ähnlich prekären Situation zu kämpfen. Die ÖVP sucht verzweifelt nach einer Erzählung, die ihr noch Glaubwürdigkeit verleiht. Doch stattdessen taumelt sie von einem Kompromiss zum nächsten, ohne klare Linie.

Die FPÖ, unter der Führung von Herbert Kickl, profitiert davon in erschreckendem Ausmaß. Ihre Strategie ist so einfach wie effektiv: Polarisierung um jeden Preis. Während die ÖVP und erst recht die SPÖ mit ihrer Identität ringen, nutzt die FPÖ diese Schwäche gnadenlos aus. Ein Szenario, in dem Schwarz mit Blau ein Bündnis eingeht, scheint für viele in der ÖVP inzwischen als letzter Ausweg denkbar – vor allem für die Wirtschaft, die das ohnehin immer schon wollte, Kanzleramt hin oder her. 

Und dann ist da noch Landesrat Werner Amon in Graz. Den Bundespräsidenten und den Bundeskanzler für die Misere verantwortlich zu machen, ist eine Chuzpe. Dieselbe Chuzpe wie jene des Landeshauptmannes, der sich als “Bauernopfer von Präsident und Kanzler bezeichnet. Warum? Das steht für eine politische Kultur, die in Österreich immer schon Blüten trieb: das Spiel mit der Schuldzuweisung. Amon und Drexler, Männer, die selbst Teil des Systems sind, verweigern jegliche Selbstreflexion. Stattdessen suchen sie sie Sündenböcke, um von der eigenen Verantwortung abzulenken.

Der Angriff auf den Bundespräsidenten ist besonders perfide. Alexander Van der Bellen hat in seiner Amtszeit mehrfach bewiesen, dass er eine stabilisierende Kraft in turbulenten Zeiten sein kann. Ihm die Verantwortung für die Implosion der steirischen ÖVP anzulasten, ist nicht nur ungerecht, sondern auch gefährlich. Es untergräbt das Vertrauen in ein Amt, das gerade in Krisenzeiten für Balance im politischen System sorgt.

Was bleibt, ist die Frage: Wohin steuert Österreich? Eine Koalition aus FPÖ und ÖVP könnte nicht nur die politische Landschaft verändern, sondern auch die Grundfesten unserer Demokratie erschüttern. Die FPÖ hat wiederholt gezeigt, dass sie bereit ist, alle demokratischen Prinzipien zu untergraben, wenn es ihren Zielen dient. Die ÖVP wiederum scheint mittlerweile so geschwächt, dass sie bereit ist, mit Herbert Kickl als Kanzler eine Kompromiss einzugehen, der vor einigen Monaten noch undenkbar gewesen wären.

Es ist an der Zeit, dass wir uns als Gesellschaft fragen, welche Werte uns wichtig sind. Wollen wir ein Land, das sich von Polarisierung treiben lässt? Die kommenden Monate werden entscheidend sein. Denn es geht um mehr als nur um Machtspiele – es geht um die Zukunft der österreichischen Demokratie.

Christian Rainer ist Journalist und Medienmanager. Er war 25 Jahre lang Chefredakteur und Herausgeber des Nachrichtenmagazins profil.