Versuchter Staatsstreich in Südkorea

Durch Ausrufung des Kriegsrechts versuchte der Präsident Südkoreas, das ihm oppositionell gegenüberstehende Parlament auszuschalten.
Seoul In Südkorea kündigt Präsident Yoon Suk-yeol an, das von ihm ausgerufene Kriegsrecht aufzuheben. Er reagiert damit nach eigenen Worten auf die Entscheidung des Parlaments, das Kriegsrecht zu blockieren. Er hatte nur wenige Studen zuvor erstmals seit über 40 Jahren das Kriegsrecht ausgerufen. Yoon warf der Opposition vor, Handlanger des kommunistischen Nordens zu sein. Um die freie und verfassungsmäßige Ordnung zu schützen, habe er keine andere Wahl als das Kriegsrecht auszurufen, sagte der Politiker der konservativen Volksmacht-Partei (PPP) in einer TV-Ansprache am späten Dienstagabend (Ortszeit). Das Parlament selbst stimmte umgehend für eine Aufhebung des Kriegsrechts.

Als Staatsstreich wird in der Regel die Aktion einer bereits im Amt befindlichen Regierung oder von einzelnen Regierungsmitgliedern bezeichnet, die darauf abzielt, ihre Macht auf illegitime Weise zu verlängern oder zu festigen, indem sie die Institutionen und das geltende legale Prozedere untergräbt, umgeht oder gänzlich ausschaltet. Oft wird die Verfassungswidrigkeit als Voraussetzung eines Staatsstreichs genannt.
Der Vorsitzende des Parlaments erklärte den Schritt Yoons für ungültig. Sowohl Oppositionsführer Lee Jae-myung als auch der Chef von Yoons eigener Partei, Han Dong-hoon, erklärten das Kriegsrecht für verfassungswidrig. Der Vorsitzende der Nationalversammlung, Woo Won Shik, erklärte, das Kriegsrecht habe keine Gültigkeit und die Abgeordneten würden die Demokratie zusammen mit dem Volk schützen. Polizei und Militär verließen das Parlamentsgebäude, nachdem Woo sie zum Rückzug aufgefordert hatte. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei, die die Mehrheit im 300 Sitze zählenden Parlament hält, Lee Jae Myung, sagte, die Abgeordneten seiner Partei würden im Saal bleiben, bis Yoon seine Anordnung formell aufhebe.

Der Präsident warf der Opposition vor, den parlamentarischen Prozess in Geiselhaft genommen zu haben, um das Land in eine Krise zu stürzen. Er erkläre das Kriegsrecht, um Südkorea “vor der Bedrohung durch nordkoreanische kommunistische Kräfte zu schützen und die verabscheuungswürdigen pro-nordkoreanischen, anti-staatlichen Kräfte auszurotten”. Konkrete Bedrohungen durch Nordkorea führte er nicht auf. Er erläuterte auch nicht, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Das Militär erklärte, dass die Arbeit des Parlaments und von Parteien verboten seien. Medien und Verlage würden der Kontrolle des Kriegsrechtskommandos unterstellt. Zuletzt wurde in Südkorea 1980 das Kriegsrecht verhängt.
“Zieh das Kriegsrecht zurück”
Kurz nach Yoons Ansprache versammelten sich mehrere Menschen vor dem Parlamentsgebäude. Einige riefen “Zieh das Kriegsrecht zurück”, andere “Verhaftet Yoon Suk-yeol”. In Live-Berichterstattungen im Fernsehen war zu sehen, wie Soldaten sich bemühten, in das Parlamentsgebäude vorzudringen. Mitarbeiter versuchten sie aufzuhalten, unter anderem mit dem Versprühen von Feuerlöschern.

Yoons Vorgänger von der Demokratischen Partei, Moon Jae-in, warnte vor einer Gefahr für die Demokratie. Er setze auf schnelles Handeln des Parlaments, um die Demokratie vor dem Zerfall zu wahren. “Ich fordere das Volk auf, seine Kräfte zu bündeln, um die Demokratie zu schützen und zu retten und dazu beizutragen, dass die Nationalversammlung normal funktionieren kann”, schrieb er auf der Plattform X.

Die Opposition verfügt im Parlament über die Mehrheit. Die Demokratische Partei (DP) konnte bei der Wahl im April ihre Position festigen, womit sich die Lage für Yoon deutlich verschlechterte. Seine Möglichkeiten in der ihm verbliebenen Amtszeit bis 2027 Gesetze durchzusetzen, sind begrenzt. Für Unruhe sorgte in dieser Woche die Beantragung der DP, einige der ranghöchsten Staatsanwälte des Landes des Amtes zu entheben. Zudem forderte sie die Ablehnung eines Haushaltsentwurfs der Regierung. Das Budget müsse um mehr als vier Billionen Won (2,65 Milliarden Euro) reduziert werden. Yoon erklärte, dies untergrabe die grundlegende Funktionsfähigkeit der Regierung.
Landeswährung verliert an Wert
Nach der Verhängung des Kriegsrechts verlor die Landeswährung Won gegenüber dem Dollar stark an Wert. Ein Vertreter der Zentralbank kündigte Maßnahmen an, um den Markt bei Bedarf zu stabilisieren. Finanzminister Choi Sang-mok habe eine Krisensitzung der höchsten Wirtschaftsvertreter einberufen, teilte sein Sprecher per SMS mit.

Die USA äußerten sich besorgt über die Vorgänge in Südkorea. Vize-Außenminister Kurt Campbell äußerte die Erwartung, dass etwaige politische Streitigkeiten friedlich und im Einklang mit der Rechtsstaatlichkeit gelöst würden. Präsident Joe Biden, Sicherheitsberater Jake Sullivan und Außenminister Antony Blinken würden über die Entwicklung auf dem Laufenden gehalten. Die Beziehung zu Südkorea habe Bestand, die USA stünden dem Land zur Seite.

In Südkorea sind 28.500 US-Soldaten stationiert, um den Verbündeten gegen die Atommacht Nordkorea zu beschützen. Der Korea-Krieg auf der Halbinsel dauerte von 1950 bis 1953 und endete mit einem Waffenstillstand. Faktisch befinden sich die beiden koreanischen Staaten noch im Kriegszustand. In seiner frühen Phase hatte Südkorea zwar eine Reihe autoritärer Regierungen, seit den 1980er Jahren gilt es jedoch als demokratisch.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
FRagen und Antworten
Was sagt die Verfassung?
Der südkoreanischen Verfassung zufolge kann der Staatspräsident das Kriegsrecht verhängen, um auf eine militärische Bedrohung zu reagieren oder die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Hierfür kann er das Militär mobilisieren. Die Entscheidung muss vom Kabinett geprüft werden.
Der Präsident muss das Parlament über die Verhängung des Kriegsrechts informieren. Stimmt die Mehrheit der Abgeordneten für eine Aufhebung des Kriegsrechts, muss das Staatsoberhaupt dem Folge leisten.
Auf Vorschlag des Verteidigungsministers ernennt der Präsident aus dem Kreis der aktiven Generäle einen Befehlshaber. Während des Kriegsrechts ist dieser für alle Verwaltungs- und Gerichtsangelegenheiten zuständig. Er kann außerdem Verhaftungen und Durchsuchungen anordnen sowie die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit einschränken.
Wie oft wurde das Kriegsrecht verhängt?
Seit der Gründung der südkoreanischen Republik 1948 wurde das Kriegsrecht mehr als ein Dutzend Mal ausgerufen. In den meisten Fällen waren demokratische Unruhen der Auslöser. Während der Militärputsche von 1961 und 1980 wurden die Grundrechte ebenfalls eingeschränkt. Beim Staatsstreich von 1980 zwang die Gruppe aufständischer Offiziere um Chun Doo-hwan den damaligen Präsidenten Choi Kyu-hah dazu, das Kriegsrecht zu verhängen. Damit sollten die Forderungen der Opposition, Gewerkschaften und Studenten nach Wiederherstellung einer demokratischen Regierung unterdrückt werden.
Wer ist Präsident Yoon und warum kam es soweit?
Der frühere Staatsanwalt Yoon wurde im Mai 2022 mit einer Mehrheit von weniger als einem Prozentpunkt in das höchste Amt Südkoreas gewählt. Er gilt als unpopulär. Seine Zustimmungswerte liegen in Umfragen bei etwa 20 Prozent. Bei den Parlamentswahlen im April 2024 musste seine konservative Volksmacht-Partei (PPP) eine herbe Niederlage einstecken. Die Oppositionsparteien errangen fast zwei Drittel der Sitze.
Die Demokratische Partei, die die Mehrheit im Parlament stellt, versucht seither, einen Sonderermittler einzusetzen, der mögliches Fehlverhalten von Yoons Ehefrau untersuchen soll. Ihr wird unter anderem Aktienkurs-Manipulation vorgeworfen. Yoon hat dagegen mehrfach sein Veto eingelegt.
In der vergangenen Woche verabschiedete der Haushaltsausschuss ein überarbeitetes Budget, in dem die von der Regierung geplanten Ausgaben um umgerechnet 2,65 Milliarden Euro gekürzt wurden. Über diesen Entwurf sollte das Plenum demnächst abstimmen. Ein Sprecher des Präsidenten kritisierte die Kürzungen als “parlamentarische Tyrannei”.
Wie geht es weiter?
Das Kriegsrechtskommando hat in einer sechs Punkte umfassenden Bekanntmachung alle politischen Aktivitäten und Versammlungen verboten. Sämtliche Medien müssen sich der Kontrolle des Kommandos unterwerfen. Außerdem wurde allen angehenden Ärzten, die aus Protest gegen die Gesundheitsreform der Regierung gekündigt hatten, die Rückkehr an ihren Arbeitsplatz befohlen.