Jürgen Weiss

Kommentar

Jürgen Weiss

Zweierlei Maß

Politik / 03.12.2024 • 07:05 Uhr

Nach dem Versammlungsgesetz sind Demonstrationen, deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen. Den damit zwangsläufig verbundenen Auslegungsspielraum hat die Wiener Polizei genutzt, von FPÖ-Anhängern angemeldete Demonstrationen, vor allem gegen eine Regierungsbildung ohne die FPÖ, zu untersagen. Das Recht auf Erwerbsfreiheit der Betriebe der Wiener Einkaufsstraßen und das Interesse der Allgemeinheit am unbeeinträchtigten Verkehrsfluss überwiege in diesem Fall das Demonstrationsrecht. Diese Rücksichtnahme auf den Verkehrsfluss und die Geschäftsinhaber ist eine durchaus vertretbare Entscheidung. Das unantastbare Demonstrationsrecht muss keineswegs so interpretiert werden, dass man es an jedem beliebigen Ort ausüben und andere Menschen dabei in ihrer Bewegungsfreiheit behindern darf. Es gäbe, vor allem in einer Großstadt, genügend Orte für Demonstrationen – es muss ja nicht unbedingt die Wiener Ringstraße sein und in einem Aufwaschen auch den Straßenbahn- und Busverkehr teilweise lahmlegen.

„Das ergibt unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung eine schiefe Optik.“

In der Vergangenheit war man in Wien da sehr großzügig. Selbst eine Bademantel-Parade für Udo Jürgens konnte vor zehn Jahren nur mit Mühe vom Ring auf die Mariahiferstraße, eine bekannte Einkaufsmeile, umgelenkt werden und ging selbst dort natürlich auch nicht behinderungsfrei über die Bühne. Dass die Wiener Polizei nach unzähligen Ring-Demonstrationen mit teilweise erheblichen Störungen des Verkehrsflusses jetzt plötzlich aus Anlass einer Demonstration von FPÖ-Anhängern ihr Herz für den Verkehrsfluss und die Geschäftsleute entdeckt, ergibt unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung schon eine schiefe Optik. Ich bin schon gespannt, wann und von wem das nächste Mal der Verkehr auf der Ringstraße wieder lahmgelegt werden darf.

Dass gegen eine Regierungsbildung ohne FPÖ auf der Straße demonstriert wird, war zu erwarten. Inzwischen gibt es aber auch in der ÖVP und SPÖ gar nicht so wenige Leute, die angesichts der Budgetmisere und den notwendigen unpopulären Sanierungsmaßnahmen die FPÖ lieber in der Hauptverantwortung der Regierungsarbeit als in der Opposition sähen. Die Vermutung, dass die FPÖ gerne erste Reihe fußfrei der Regierung einfach nur zusehen und weitere Unzufriedenheit schüren wird, ist nicht von der Hand zu weisen. Es wird ein gutes Resultat der Regierungsverhandlungen brauchen, um der FPÖ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ein Zusammenraufen der Verhandler ist durchaus möglich, weil ÖVP, SPÖ und Neos faktisch keine Alternative zu einer Einigung und zum Zurückstellen von Konfliktthemen haben. Das solche Verhandlungen von Theaterdonner und dramatischen Zuspitzungen begleitet werden, gehört ebenso wie bei Lohnverhandlungen zum Geschäft.

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates (ÖVP) zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.