Simon Tschann wegen Amtsmissbrauch schuldig gesprochen

Der Bludenzer Bürgermeister Simon Tschann stand am Mittwoch wegen des Vorwurfs des Amtsmissbrauchs vor Gericht. Er musste sich wegen einer Baugenehmigung für ein Bauprojekt verantworten. Am Abend hat der Richter eine Entscheidung gefällt.
Feldkirch Was wusste der Bludenzer Bürgermeister Simon Tschann, als er einen Baubescheid für ein Mehrparteienprojekt in Bludenz unterschrieben hat? Um diese Frage dreht sich der Prozess gegen Tschann am Mittwoch am Landesgericht in Feldkirch. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Amtsmissbrauch vor – was Tschanns Verteidigung und er selbst naturgemäß vehement zurückweisen. Tschann bekennt sich zu Beginn auch nicht schuldig. Am Ende sprach der Richter Tschann schuldig. 11 Monate Freiheitsstrafe auf drei Jahre Bewährung, dazu 300 Tagessätze zu je 170 Euro Strafe. Macht insgesamt: 51.000 Euro. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, sowohl Tschann als auch die Staatsanwaltschaft hat Berufung angekündigt.

Der Prozess ist eigentlich bis 16 Uhr angesetzt. Um 17.20 Uhr setzt der Staatsanwalt zum Schlussplädoyer an – und kündigt an, dass er etwas Zeit dafür benötigt. “Der Fall ist nicht so kompliziert”, sagt er. Er richtet sich an die Schöffen: “Wissen müssen Sie eine: Der Bürgermeister ist erste Instanz, er muss entscheiden.” Für ihn steht fest: Das Gutachten des Amtssachverständigen zum Ortsbild sei nicht berücksichtigt worden. Der Staatsanwalt kritisiert die Aussagen Tschanns, glaubt den geschilderten Abläufen nicht und schildert ein Erlebnis bei Zeugeneinvernahmen vor der Polizei. Da soll es Absprachen direkt im Vorfeld gegeben haben. Der Staatsanwalt ortet Verschleierungstaktik. Er wendet sich direkt an die Schöffen: “Ein Amtsmissbrauch ist nicht ein falsches Ergebnis. Ein Amtsmissbrauch ist das falsche Handeln. Konzentrieren Sie sich gar nicht darauf, wie hoch die Häuser sind.” Das sei eine Nebelgranate. Wie auch das Privatgutachten der Verteidigung. Er zitiert ein die Zurückweisung des Einstellungsantrags des Oberlandesgerichts in Innsbruck: Simon Tschann hätte Bescheid gewusst, dass es keine mündliche Bewilligung gab und das Gutachten negativ war. Deshalb hätte er die Sache beurteilen können. Der Umstand, dass ein Mitarbeiter der Baurechtsabteilung den Bescheid ausgearbeitet hat, den Simon Tschann nur unterschreiben musste, entbinde ihn nicht, den Bescheid davor zu prüfen, zitiert der Staatsanwalt aus einer OLG-Prüfung. Er vergleicht den Amtsmissbrauch mit einem Werkstättenbetreiber, der die Zulassung für ein Auto ausstellt. Amtsmissbrauch sei entweder, wenn man die Augen zudrückt und die Zulassung erteilt. Oder wenn man das Auto gar nicht ansieht und die Zulassung erteilt – selbst wenn das Fahrzeug in Ordnung ist. Also: Den Baubescheid hätte er prüfen müssen. Nicht einfach unterschreiben. Und es sei totaler Schwachsinn, dass es sich um ein politisches Verfahren handle. Tschann sei deshalb schuldig.
18 Uhr, jetzt ist die Verteidigung am Wort. Sie stellt zunächst klar: Es habe keine Zeugenbeeinflussung bei der Polizei gegeben. Er fragt sich, warum Anklage erhoben worden ist, wenn jetzt das Ergebnis egal sei? Die Anklage stütze sich darauf, dass das Ortsbild nicht geschützt worden sei. Außerdem sei bei der Beurteilung des OLG Innsbruck der Beschuldigte Simon Tschann noch gar nicht einvernommen worden. Anwalt Mandl fasst noch einmal zusammen: Akt kommt herein, kommt in Fachabteilung, geht in andere Fachabteilungen, um Meinung einzuholen, es wird diskutiert, in Sitzungen diskutiert, es gibt mehrere Stellungnahmen und so weiter. Es sei eine Illusion zu meinen, der Bürgermeister sei bei diesen Verfahrensschritten involviert. Er sei zwar Baubehörde erster Instanz, muss aber vor allem darauf achten, dass die Fachabteilungen ihren Job machen können. “Er muss nicht deren Aufgabe übernehmen.” Die Verhandlung habe gezeigt, dass es schon schwierig sei, sich darauf zu einigen, wie viele Geschosse ein Haus hat. “Einen kleinen Bauakt zu prüfen, brauche ich zwei Tage. Allein einen Abstand zu berechnen, ist ein Kunstwerk.” Mandl widmet sich noch einmal der Frage der Abstandsflächen und der Frage, welchen Ermessensspielraum hat. Die Fachabteilung sage, bei einer anderen Nutzung könne man näher an die Straße bauen. Ein Gutachten zeige aber, dass die Nutzung nichts mit dem Ortsbild zu tun habe. “Es bleibt auch bei den Abständen nicht viel übrig”, ist der Anwalt überzeugt. Und: Wenn es keinen Versagensgrund gebe, müsse eine Behörde den Baubescheid erlassen. Es gebe keinen Versagensgrund. Schließlich wendet auch er sich an die Zeugen: “Glauben Sie, dass der Angeklagte lügt, wenn er sagt, er habe den Bescheid nur unterschrieben? Ich glaube es nicht. Die eigene Fachabteilung weiß das, das sei der normale Ablauf des Bauvorhabens.” Der Amtsmissbrauch setze “Wissentlichkeit” voraus. Die sei nicht gegeben. Verschleierungstaktik sehe er sowieso nicht. Wenn man meine, dass ein Bürgermeister jeden Akt prüfen muss, wird man keinen Bürgermeister mehr finden. “Sie können das einfach nicht mehr bewältigen.” Deshalb beantragt die Verteidigung einen Freispruch.
18.20 Uhr, Simon Tschann hat das letzte Wort: Er sagt noch einmal: Ich bin nicht schuldig und reinen Gewissens. Der Richter glaubt ihm nicht, wie er um 19.15 Uhr ausführt, als er das Urteil verkündet: “Wir sind der Meinung, dass Sie den Bescheid durchgelesen haben.” Beim betroffenen Projekt habe es sich schließlich um ein eines mit besonderer Brisanz gehandelt. “Deshalb gehen wir davon aus, dass Sie wissen, was im Bescheid steht”, sagt der Richter, während Tschann den Kopf schüttelt. Dasselbe gelte für ein Schreiben zum Fall an den Volksanwalt mit einer Falschinformation, das Tschann ebenfalls unterschrieben hat und was ihm zusätzlich eine Verurteilung wegen falscher Beuurkundung im Amt einbringt. “Dass Sie dieses Schreiben nicht gelesen haben, wenn es um Sie geht, kann ich mir nicht vorstellen”, sagt der Richter.
Paragrafen zu Beginn
9.15 Uhr: Staatsanwalt Richard Gschwenter fährt zu Prozessbeginn schwere Geschütze auf: Tschann habe ein Treffen fingiert, würde lügen, würde seine Verantwortung abwälzen, hört nicht auf Sachverständige. Für Verteidiger Georg Mandl sind die harten Worte ein Zeichen, dass die Sache inhaltlich sehr mau sei. Wie kompliziert die Anklage ist, zeigen die Vorwürfe und die Gegenrede der Rechtsvertreter. Es geht um die Paragrafen 7 und 17 im Baugesetz. Um Paragraf 7 Absatz 1 oder Absatz 2? Sie streiten um Baunutzungszahlen: 50, 60, 82, 108. Es geht um Abstandsnachsicht, um Ortsbildschutz, um die Frage, wann welche Entscheidung getroffen wurde.

Die Staatsanwaltschaft wirft Tschann zwei Dinge vor: Er habe wissentlich ein Gutachten eines Amtssachverständigen ignoriert. Darin soll festgehalten sein, dass ein Bauprojekt in Bludenz eine Baunutzungszahl von 50 aufweisen darf. Außerdem müsse der Abstand zur Straße vier Meter betragen. Tschann habe das Projekt mit einem Abstand unter einem Meter und einer Baunutzungszahl von über 80 allerdings bewilligt. Das Gutachten zeige zudem, dass das Ortsbild negativ beeinflusst werde, zitiert der Staatsanwalt. Hier hakt der Verteidiger ein: Im Gutachten stehe, dass es das Ortsbild negativ beeinflussen könne. Außerdem habe die Staatsanwaltschaft bis heute nicht prüfen lassen, ob das Ortsbild auch tatsächlich negativ beeinflusst worden sei. Das habe man selbst nachgeholt, und es zeige: keine Beeinträchtigung. Im Umfeld gäbe es Projekte mit einer Baunutzungszahl von 108. Zudem könne der Abstand geringer sein, wenn es um den Abstand zu einer Straße geht.

Grundargument der Verteidigung: Die Entscheidung trifft die Baurechtsabteilung. Tschann müsse allein 150 Baubescheide im Jahr unterschreiben, inhaltlich vertraut er auf die Expertise der Abteilung. „Aber Sie wissen schon, dass Sie die Baubehörde sind?“, fragt deshalb der Richter den Bürgermeister. „Ja“, antwortet Tschann. Richter Alexander Wehinger lässt nicht locker: „Sie verlassen sich sehr auf ihre Mitarbeiter?“, fragt er. Tschann: „Ja.“ Der Richter: „Gerade bei so einem Projekt, bei dem zu diesem Zeitpunkt schon klar war, dass es medial ein großes Thema wird? Wollten Sie sich da nicht einmal hinsetzen und sich alles ansehen?“ Tschann: „Es ist eines von vielen Projekten.“ Tschann wiederholt: 150 Baubescheide im Jahr. Richter: „Für Sie war es nicht ein Bauprojekt von besonderer Brisanz?“ Tschann: „Nein.“

Zweiter Vorwurf der Staatsanwaltschaft: Eine Lüge in einem Brief. Ein Nachbar hat gegen das Bauprojekt bei allen möglichen Stellen Beschwerde eingereicht: Bezirkshauptmannschaft, Landesvolksanwalt, Landesverwaltungsgericht. In einer Stellungnahme an die BH und den Landesvolksanwalt schreibt die Stadt Bludenz, dass es eine interne Sitzung am 10. Juni gegeben habe, in der der Amtssachverständige das Projekt freigegeben habe.

Besagter Sachverständiger hat einen Tag zuvor seine Stellungnahme abgegeben. Einen Tag später wurde die Bauverhandlung ausgeschrieben. Deshalb ist die Staatsanwaltschaft überzeugt, dass es diese Sitzung nie gab – was sich im Ermittlungsverfahren auch herausstellte. Im Prozess geht es um die Frage, wer den Brief verfasst hat. Auch hier: Dieser Brief sei nicht von Tschann verfasst, sondern nur ohne Durchlesen unterschrieben worden, sagt der Bludenzer Bürgermeister.

Der Richter will nun noch einmal wissen: „Sind Sie der Meinung, dass das Unterschreiben eines Baubescheids ohne ansatzweise inhaltliche Prüfung der Verantwortung eines Bürgermeisters gerecht wird?“ Tschann fragt zurück: „Wie soll es funktionieren, wenn ich es selbst prüfen soll? Ich müsste Unterlagen einfordern, Pläne ansehen, Abstände nachmessen und so weiter. Ich wäre sicher eine Woche dran pro Projekt.“ Nachfrage Richter: „Glauben Sie, dass man es zwangsweise so machen muss als Bürgermeister?“ Antwort Tschann: „Es ist in der Praxis nicht anders möglich.“

Der Staatsanwalt fragt ebenfalls: „Wer ist laut Gesetz für Bauangelegenheiten als erste Instanz zuständig?“ Tschann antwortet: „Ich als der Bürgermeister.“ Um wieder über Details zu diskutieren: Hat der Amtssachverständige zwei oder drei Projekte geprüft? Wann hat der Bürgermeister was gewusst? Wie war das in dieser Sitzung? Wieder der Abstand. Dann wird Tschann gebeten, verschiedene Aussagen in Interviews auf VOL.at und auf ORF Vorarlberg zu kommentieren. Und dann geht es wieder ausführlich um die Sitzung, den Gestaltungsbeirat und Stellungnahmen. In einer Stellungnahme steht das falsche Datum. Antwort Tschann: “Ich kann zum Inhalt der Stellungnahme nichts sagen.”

Der Verteidiger möchte noch einmal von Tschann wissen: “Wenn du den Bescheid prüfen möchtest, was müsstest du tun?” Antwort Tschann: Baurecht studieren. Und ernsthaft, wiederholt er noch einmal: Pläne ausheben, Akt studieren, Abstände nachmessen und so weiter. Um 11.35 Uhr endet die Einvernahme. Nach einem Zeugen und einer kurzen Pause folgen die weiteren Zeugen.
Um 16.30 Uhr betritt der letzte der sechs Zeugen den Saal. Zuvor haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt sowie ein Innsbrucker Gutachter ausgesagt. Immer wieder dreht sich die Vernehmung um die Fragen Baunutzungszahl und diverse Paragrafen. Um 16.30 Uhr ist schließlich einer der Hauptgründe für den Prozess vor dem Richter. Jener Nachbar, der sich an Landesvolksanwalt, Landesverwaltungsgericht und Bezirkshauptmannschaft ist als Zeuge geladen. Er ist es auch, der Tschann bei der Staatsanwaltschaft angezeigt hat, womit die Untersuchungen überhaupt erst begonnen haben. Minutenlang diskutiert er mit Tschanns Anwalt über die Frage, wie viele Geschosse die Villen haben. Zählt die Garage, die ebenerdig befahrbar ist, als Erdgeschoss oder als Keller? Der Sinn hinter dieser Diskussion: die Frage nach dem Ortsbild. Sie wird an diesem Prozesstag immer wieder thematisiert.