Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Asyl auf Zeit? Warum nicht?

Politik / 20.12.2024 • 15:02 Uhr

Syrien nach Assad: Kein Triumph der Demokratie, sondern das nächste Kapitel im ewigen Drama des Nahen Ostens. Statt eines freien, friedlichen Staates haben sich offiziell anerkannte Terroristen breitgemacht – pardon – offiziell als Terroristen Anerkannte breitgemacht. Die haben schon mal die Al-Qaida-Flagge als Auszeichnung getragen. Und jetzt? Jetzt diskutieren wir in Österreich darüber, ob es moralisch vertretbar ist, Menschen, die hier Schutz gesucht haben, wieder nach Hause zu schicken. Oder besser gesagt: in das, was von “zu Hause” übrig ist. Willkommen in der Realpolitik.

Außenminister Alexander Schallenberg brachte es im Interview trocken auf den Punkt: “Asyl gilt nicht für immer. Es braucht einen Verfolgungsgrund.” Und wenn der entfalle, sei es doch nur logisch, die Lage neu zu beurteilen, oder? Der Historiker Hans-Georg Betz meint dazu: „Die Logik der Realpolitik ist oft unerbittlich, aber selten human.“ Ist Logik wirklich das, was zählt, wenn die FPÖ-Wählerbasis im Genick sitzt?

Schauen wir genauer hin! Asyl auf Zeit, das klingt so herrlich unverbindlich. Wie ein Probeabo für Netflix, nur mit Menschenleben. Praktisch, oder? Man kann die großen moralischen Reden schwingen, die Willkommenskultur feiern – und dann, wenn es unbequem wird, die Sache einfach auslaufen lassen. Integration? Ach, das war nur auf Probe. Danke für den Einsatz, liebe Syrer, aber wir brauchen euch nicht mehr. Ab ins Flugzeug, bitte!

Freilich: Wer sagt denn, dass Integration so toll funktioniert hat? Klar, die Bubble in den städtischen Bobo-Bezirken redet sich gerne ein, dass alle lieb und brav sind. Dort, wo die FPÖ mit simplen Parolen punktet, wächst aber die Frustration. Der ganz und gar nicht rechte Politologe Anton Pelinka: “Die Diskrepanz zwischen urbaner Toleranz und ländlicher Skepsis ist ein Pulverfass der Demokratie.” Nicht jeder Flüchtling wird zum neuen Posterboy der Integration. Und nicht jeder, der Kritik äußert, ist ein Unmensch.

Kanzler Karl Nehammer hat das Ganze kürzlich mit ungewolltem Zynismus popularisiert: „Syrien braucht jetzt seine syrischen Mitbürger.“ Ein Satz, der einfach zu einfach ist, um wahr zu sein. Aber in einer Zeit, in der die EU-Außengrenzen zum Schleusenbau avancieren, trifft er den Nerv. Hart und verlockend logisch.

Andererseits stellt sich die Frage: Was ist mit denen, die sich hier eingelebt haben? Den Familien, die Wurzeln geschlagen haben? Den Kindern, die besser Wienerisch sprechen als wir Bobos (und als Arabisch)? Müssen die jetzt ihre sieben Sachen packen und in ein Land ziehen, das sie bestenfalls aus Geschichten kennen?

Wir müssen ehrlich sein: Asyl auf Zeit ist keine bösartige Idee. Es ist ein Versuch, Realität und Mitgefühl in Einklang zu bringen. Sicher, das Völkerrecht setzt Grenzen. Aber das Völkerrecht sind nicht die Zehn Gebote. Es lebt davon, neu interpretiert zu werden – angepasst an eine Welt, in der die Krisen nicht enden. Warum also nicht offen darüber sprechen, die Rechtslage zu ändern? Vielleicht ist es an der Zeit, Asyl neu zu denken. Weg vom Dauerzustand, hin zu einem flexiblen System, das Hilfe bietet, aber auch Konsequenzen zieht, wenn die Umstände es erlauben. Wie meinte der Philosoph Slavoj Žižek? „Die wahre Moral ist oft unbehaglich, weil sie Entscheidungen erfordert.“ Und die brauchen wir, bevor wir uns im Schein der Heiligkeit verlieren.