Meine Furcht vor der herrschenden Meinung
Kein Rückblick auf 2024. Trump. Ukraine. Nationalratswahlen. Wahlen in der Steiermark. Rezession. Das verdirbt die Laune. Also besser der Blick nach vorn. Da können wir zumindest Hoffnung auf Besserung walten lassen.
Entscheidend, zumindest mitentscheidend, sind da Dinge, die wir leider nicht beeinflussen werden. Einmal mehr Donald Trump: Da sehe ich trotz des verrückten Ministerkabinetts, das er gerade installiert, eine gewisse Chance, der Dealmaker könnte einiges richten – bei einem Restrisiko freilich, das kein vernünftiger Mensch jemals eingehen sollte. Dann die europäische Wirtschaft, besonders die deutsche, die wir auch nicht beeinflussen werden: Angesichts unserer Abhängigkeit von den maroden Abnehmermärkten und vom überbürokratisierenden Brüssel bleibt viel Resignation und Ärger. Schließlich Europa politisch: Deutschland hat keine Regierung, Frankreich de facto auch nicht. Italien wird von einer Neofaschistin geführt. Die zentral- und osteuropäischen Staaten sind unsichere Kantonisten bis hin zu von Korruption gefütterten Antidemokraten. Dass über diesem Europa wie ein Netz die scheinbar vereinende NATO liegt – inklusive der Türkei –, erscheint mir mehr und mehr wie ein Treppenwitz. Da klingt Trump mit seinen Drohgebärden gegenüber den potenziellen Partnern im Krieg tatsächlich vernünftiger.
Global also ein verheerendes Bild, für das irgendwo eingezwängte Österreich sowieso.
Jetzt aber zur Innenpolitik. Da bin ich im Vergleich zu vielen Kollegen und Kolleginnen optimistischer. Vor allem deshalb, weil ich Karl Nehammer für einen vernünftigen und redlichen Menschen halte, weil Andreas Babler viel zu schwach ist, um Sand ins Getriebe zu streuen, weil ich Beate Meinl-Reisinger und ihr Team als ungeduldige Beschleuniger in einer künftigen Regierung sehe. Was mir fehlt, sind die mutigen Projekte (Pensionen, Migration, Schule, Neutralität – kommt da noch was?) und die Klimathemen, die mit dem Abgang der Grünen verschwinden werden.
Sie merken: Ich bin überzeugt davon, dass die ÖVP-SPÖ-Neos-Koalition alsbald stehen wird. Wovor ich mich da auch noch fürchte: vor inkompetentem Personal in der Regierung. Ebenfalls wider die herrschende Meinung: Ich fand die Kochers, Schallenbergs, Brunners, Rauchs, Gewesslers der vergangenen Periode gar nicht schlecht, wiewohl ohne Hausmacht verfangen im Dschungel der eigenen Parteien und der österreichischen Strukturen.
Apropos „fürchten“ und „herrschende Meinung“: Da habe ich auch nach Jahrzehnten von berufsbedingter Beobachtung und Analyse weiterhin schwere Probleme. Abschließend zwei Beispiele. Erstens: Wenn Sie in Ihrem Umfeld nach der Haltung zur beschriebenen Dreier-Koalition fragen, werden Sie vermutlich auf Ablehnung stoßen. Wenn Sie daraufhin aber nach der Haltung zu einem Kanzler Kickl fragen, werden sie ebenso Ablehnung ernten. Über den Widerspruch zwischen diesen beiden Antworten sind die Befragten meist selbst erstaunt. Zweitens: Laut einer Umfrage des „Standard“ halten es 59 Prozent der Österreicher für falsch, dass der Bundespräsident Kickl nicht mit einer Regierungsbildung beauftragt hat, nur 31 Prozent für richtig. Dass dies angesichts der absoluten Sicherheit, Kickl würde keinen Koalitionspartner finden, völlig sinnlos gewesen wäre, dass dies durch eine Runde von Sondierungsgesprächen bewiesen worden war, scheint also 59 Prozent der Bevölkerung nicht zu kratzen.
Vor einem derartigen Wirrwarr der herrschenden Meinung fürchte ich mich.
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