Die Neos und das politische Chaos

Der Abbruch der Regierungsverhandlungen durch die Neos ist ein politisches Schauspiel, das weniger mit „staatspolitischer Verantwortung“ zu tun hat, als Beate Meinl-Reisinger uns glauben machen möchte, sondern vor allem mit parteitaktischem Kalkül. Es ist bemerkenswert, wie widersprüchlich und eigenartig die Neos-Vorsitzende dabei agiert.
Hat Meinl-Reisinger nicht verstanden, was Koalitionsverhandlungen eigentlich bedeuten? Sie selbst sagte in ihrer Erklärung: „Wir haben diese Einladung zu Verhandlungen angenommen.“ Das ist freilich Unsinn. Die Neos hatten weniger eine Einladung zur Regierungsbildung erhalten, als sich schon vor den Wahlen über Monate als zukünftiger Koalitionspartner der ÖVP nachgerade aufgezwungen. Dieses Vorgehen mag der Marke Neos gefallen haben, schließlich wollte man sich als ernst zu nehmender Mitspieler inszenieren.
Noch absurder wird es, wenn Meinl-Reisinger argumentiert, die Neos würden jetzt wegen „Staatsverantwortung“ aus den Verhandlungen aussteigen: gerade weil ihr Rückzug den Weg für Herbert Kickl und die FPÖ ebnen könnte. Die Neos riskieren damit, zum Königsmacher der Rechtspopulisten zu werden – ausgerechnet jener Partei, deren Politik sie stets vehement abgelehnt haben. „Staatspolitische Verantwortung“? Nein, das ist bestenfalls ein schlechter Witz, schlimmstenfalls Heuchelei.
Drängt sich da der Eindruck auf, dass Meinl-Reisinger die Verhandlungen von Anfang an eher als Bühne für Profilierung denn als ernsthafte Gespräche angesehen hat? Vielleicht zu böse gedacht? Jedenfalls: Wäre es ihr wirklich um die Sache gegangen, hätte sie nicht angesichts von erwartbaren Widerständen und voraussehbaren Kompromissen die Flinte ins Korn geworfen. Stattdessen hinterlässt sie ein politisches Chaos, das Österreich gerade jetzt nicht brauchen kann.
Der Ausstieg der Neos bringt Österreich in eine ungewisse und gefährliche Lage. Die zentralen Fragen lautet: Wird es zu Neuwahlen kommen? Oder wird die ÖVP ihre bisherige Ablehnung einer Zusammenarbeit mit der „Kickl-FPÖ“ doch aufgeben? Sollte das geschehen, ist ein personeller Wechsel an der ÖVP-Spitze – sprich: der Abgang von Karl Nehammer – nicht auszuschließen. Herbert Kickl wäre bereit, auf die Bedingungen der ÖVP einzugehen, und der Druck der Wirtschaft auf die eigene Partei, eine Regierung zu bilden, wächst täglich.
Andere Optionen: Die Grünen statt Neos als dritter Koalitionspartner. Doch die Spannungen mit der ÖVP aus der letzten Regierung wirken nach. Oder eine ÖVP-SPÖ-Koalition mit haarscharfer Mehrheit im Parlament? Da kann man vermutlich gleich Neuwahlen ansetzen. Was in beiden Fällen zu massiven Zugewinnen der FPÖ führen würde.
Sicher ist: Österreich befindet sich in einer ungeahnt schwierigen politischen Situation – und das mitten in schlimmen wirtschaftlichen Zeiten. Der aktuelle Stillstand wird nicht nur die politische Lage verhärten, sondern auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik weiter untergraben.