Köhlmeier: “Das ist der politische Supergau”

Schriftsteller Michael Köhlmeier hat keine Freude mit den politischen Entwicklungen in Österreich. Er warnt vor Kickl und kritisiert die ÖVP scharf.
Hohenems 2600 Personen haben im Herbst den Vorarlberger Aufruf für Demokratie unterschrieben. Eine Petition, die unter anderem davor warnt, Herbert Kickl zu wählen, ohne dessen Namen zu nennen. Neben Hanno Loewy, Carmen Feuchtner und anderen zählt auch der Hohenemser Schriftsteller Michael Köhlmeier zu den Initiatoren. Dass jetzt doch Kickl Kanzler werden könnte, lässt ihn zu drastischen Worten greifen.
“Bundeskanzler Herbert Kickl”, wie klingt das für Sie?
Köhlmeier Wie der politische Supergau.
Warum?
Köhlmeier Aus verschiedenen Gründen. Er stellt in seiner Person die charakterliche Verwahrlosung der Politik dar wie kein anderer. Es war für mich vor ein paar Jahren undenkbar, dass jemand Kanzler wird, der den Bundespräsidenten als senile Mumie bezeichnet. Undenkbar, dass jemand Kanzler wird, der über Migranten sagt, sie müssen konzentriert in Lagern gehalten werden. Undenkbar, dass jemand Kanzler wird, der offene Sympathien mit einem Kriegstreiber wie Wladimir Putin hat. Undenkbar, dass jemand Kanzler wird, der davon spricht, Fahndungslisten mit Namen politischer Gegner zu erstellen. Das ist der erste Grund.
Wie lautet der zweite Grund?
Köhlmeier Dass die ÖVP eine absolute Selbstaufgabe in jeder Hinsicht betreibt, im offenen Schaufenster. Das hätten wahrscheinlich die meisten ÖVP-Funktionäre und -Anhänger nicht geglaubt. Es besteht die Gefahr, dass es die ÖVP in dieser Form, wie sie jetzt ist, in ein paar Jahren nicht mehr gibt.
Was sagt das über das politische Österreich aus?
Köhlmeier Ich möchte überhaupt nicht als Besserwisser dastehen. Aber es ist ein Beispiel dafür, wie Geschichte verdrängt oder nicht ernst genommen wird und dass eine große Unzufriedenheit da ist. Das Merkwürdige ist ja, wenn man Leute fragt, wie sie die politische Situation in Zukunft sehen, dann sind sie pessimistisch. Wenn man sie fragt, wie es ihnen persönlich geht, dann antworten sie, dass es ihnen gut geht. Ich denke, die Unzufriedenheit hängt auch mit dem Gefühl zusammen, abgehängt zu sein, nicht ernst genommen zu werden. Dieses unglaublich bittere Gefühl, nicht für würdig erachtet zu werden. Und die Gegenreaktion darauf ist Rache. Stermann und Grissemann haben mal über Heinz Christian Strache gesagt, dass das gesamte Programm der FPÖ in seinem Namen Niederschlag findet: St. Rache. Das fand ich so klug wie viele lange politische Kommentare seit Langem nicht.
Wie sehen Sie die politische Zukunft?
Köhlmeier Jetzt im Augenblick sehr düster. Wir befinden uns in einer wirtschaftlich katastrophalen Situation. Und es wird politisch eine sein. Wenn ich höre, wo überall gekürzt wird, bin ich fassungslos. Die Dreierkoalition sei gescheitert, weil die SPÖ alte Rezepte vorlegen würde, heißt es. Wenn Gerechtigkeit ein altes Rezept ist, na gut, warum nicht? Im Umweltbereich, Sozialbereich, Kulturbereich, überall wird gekürzt, aber bei einer Bankenabgabe schreien alle? Wenn Gerechtigkeit ein altes Konzept ist, ist das neue Konzept die Ungerechtigkeit.
Haben Sie keine Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht so schlimm wird unter einem Kanzler Herbert Kickl als manche befürchten?
Köhlmeier Die größte Hoffnung ist, und das zeigt ein Blick auf die zwei vergangenen Regierungen mit FPÖ-Beteiligung, dass sie es einfach nicht können. Wenn ich mir die Minister der FPÖ damals unter Schüssel und Haider vorstelle, kann man hoffen, dass sie ihre traurigen Konzepte nicht durchsetzen, weil es an Kompetenz fehlt. Allerdings ist Kickl ein anderes Kaliber als Strache und Haider. Man würde gerne über ihn spotten, aber er ist ein hochintelligenter Mensch. Was er sagt, sollte man ernst nehmen.
Sie nehmen zu politischen Themen gerne öffentlich Stellung. Macht die aktuelle Situation etwas mit Ihrer Motivation?
Köhlmeier Ich habe mich mein ganzes Leben als Bürger als sehr aktiv und politisch interessiert empfunden. Wir leben ja nicht in der schlechtesten aller Zeiten. Aber es wird nicht ruhiger. Kickl wird unsere Nation noch mehr spalten. In meinem Leben wird sich nicht viel ändern. Ich glaube nicht, dass es so weit kommt, dass ich auf einer Fahndungsliste von Herrn Kickl lande, was eine Ehrenliste wäre. Ich werde mich also weiter rühren.