Gröbere blau-schwarze Verstimmungen am Ende der ersten Verhandlungsrunde

Bei zahlreichen Themenbereichen dürfte bereits Einigkeit herrschen. Die Einstellung zur EU, zur Abgrenzung zu Russland und zu Identitären könnten noch für Unstimmigkeiten sorgen.
Wien Nachdem es diese Woche zwischen FPÖ und ÖVP schon etwas gerumpelt hat, ritten am Wochenende blaue Landesparteichefs gegen VP-Chef Christian Stocker aus. Dieser hatte von der FPÖ eine Kurskorrektur gefordert. Stocker “gefährdet die Gesprächsbasis für konstruktive Koalitionsverhandlungen”, warnte etwa die steirische FPÖ. Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl zeigte sich erstaunt über Stocker, sprach sich aber für ein “einheitliches” Auftreten in Brüssel aus. Die ÖVP war um Beruhigung bemüht.
Stocker hatte am Donnerstagnachmittag Journalistinnen und Journalisten zu einem Hintergrundgespräch eingeladen, die VN berichteten. Er hatte dabei von der FPÖ eine Bewegung “vom rechten Rand in die Mitte” verlangt, ansonsten werde sich eine Regierung mit der ÖVP nicht ausgehen. Ein klares Bekenntnis zur EU, die liberale Demokratie, Medienfreiheit und der Kampf gegen Antisemitismus müssten gewährleistet sein. Konkrete rote Linien oder Verhandlungsdetails nannte der geschäftsführende Parteichef nicht.
Kunasek bat um vertrauliche Gespräche
Aus mehreren Bundesländern meldeten sich am Samstag die FPÖ-Chefs, die dort auch teils mit der ÖVP regieren, mit harscher Kritik zu Wort. “Zu ernst gemeinten Verhandlungen gehört, dass beide Partner sich im Rahmen von vertraulichen Gesprächen austauschen und sich nicht über Medien und andere Dritte gegenseitig Standpunkte ausrichten”, sagte der steirische Landeshauptmann Mario Kunasek (FPÖ). “Die ÖVP muss auch auf Bundesebene lernen, Wahlergebnisse zu akzeptieren und einsehen, dass sie nicht mehr die stärkste Kraft in diesem Land ist und daher auch zu Kompromissen bereit sein muss”, mahnte Kunasek.
“Es bringt nichts, jetzt die Nerven zu verlieren”, entgegnete ÖVP Generalsekretär Alexander Pröll angesichts der Aufregung. Alle sollten einen “kühlen Kopf bewahren”. Es sei klar, dass die Volkspartei die Mitte repräsentiere. “Ob sich ÖVP und FPÖ in der Mitte treffen können, werden die Verhandlungen zeigen.”
Unstimmigkeiten um EU-Position
Am Freitag endete die erste Verhandlungsrunde. Beim Geld wurden sich die Verhandler von FPÖ und ÖVP bekanntlich schnell einig: Auch wenn größere Details fehlen, konnte mit dem der EU-Kommission vorgelegte Plan das Defizitverfahren abgewendet werden. In 13 Untergruppen wird verhandelt. In einigen Bereichen knirscht es zwischen Blau und Schwarz – vor allem rund um Fragen der EU-Zusammenarbeit, Außenpolitik und Sky Shield. Am Montag werden die Gespräche fortgesetzt. Ein Blick auf die Themenbereiche und jeweilige schwierigere Verhandlungspunkte.
1. Verfassung, Deregulierung, Öffentlicher Dienst, Kampf gegen Antisemitismus & politischer Islam
Chefverhandler: Norbert Nemeth (FPÖ), Alexander Pröll (ÖVP)
Die fehlende klare Abgrenzung der FPÖ zu den Identitären und der Umgang mit Antisemitismus dürften bei den Verhandlungen für Gesprächsstoff sorgen.
2. Wohnen & Justiz
Chefverhandlerin und Chefverhandler: Harald Stefan (FPÖ), Claudia Plakolm und Alexander Pröll (ÖVP)
In einem offenen Brief an den Bundespräsidenten fordern renommierte Fachleute eine unabhängige Person an der Spitze des Justizministeriums. Die künftige Justizministerin bzw. der künftige Justizminister solle weder schwarz noch blau sein, weil dem “unauflösbare Interessenskonflikte” entgegenstünden.
3. Außenpolitik & Europa
Chefverhandlerin und Chefverhandler: Susanne Fürst (ÖVP), Reinhold Lopatka (ÖVP)
Den Freiheitlichen wird eine gewisse Russland-Nähe vorgeworfen, was Parteichef Herbert Kickl jüngst vehement bestritt. Die ÖVP pocht vor allem auf ein blaues Bekenntnis zur EU in ihrer derzeitigen Form und die Umsetzung des EU-Luftraumverteidigungsprogramms Sky Shield. Beim Thema Sky Shield könnte es laut “Oberösterreichischen Nachrichten” eine Annäherung geben, falls die ÖVP auf Langstreckenraketen verzichtet.
4. Innere Sicherheit & Integration
Chefverhandler: Hannes Amesbauer (FPÖ) und Gerhard Karner (ÖVP)
Beide Parteien haben Interesse am Innenministerium bekundet. Insgesamt wird ein schärferer Asylkurs unter blau-schwarz erwartet, hier dürfte es zwischen den Parteien keine gröberen Knackpunkte geben.
5. Finanzen & Steuern
Chefverhandler: Hubert Fuchs (FPÖ), Harald Mahrer (ÖVP)
Es soll keine neuen Steuern geben, verkündeten FPÖ und ÖVP bei der Vorstellung ihres Sanierungsplans des Budgets. De facto kommt mit der Abschaffung des Klimabonus eine Steuer durch die Hintertür. Es sind jedoch keine großen Knackpunkte im Rahmen der Verhandlungen zu erwarten.
6. Landesverteidigung & Sport
Chefverhandlerin und Chefverhandler: Volker Reifenberger (FPÖ), Klaudia Tanner (ÖVP)
Ob Verteidigungsministerin Klaudia Tanner im Amt bleibt, ist fraglich. Dem Vernehmen nach wollen beide Parteien den Fehler von Türkis-Blau vermeiden und nicht beide Sicherheitsressorts in die Hände einer Partei geben.
7. Bildung, Wissenschaft, Forschung
Chefverhandlerin und Chefverhandler: Hermann Brückl (FPÖ), Barbara Eibinger-Miedl (ÖVP)
8. Kunst & Kultur, Medien
Chefverhandlerin und Chefverhandler: Christian Hafenecker (FPÖ) und Susanne Raab (ÖVP)
Dem Vernehmen nach dürfte die ÖVP zwar an der ORF-Haushaltsabgabe nicht festhalten, fordert aber Alternativen zur Finanzierung von den Freiheitlichen ein. Die privaten Medienverbände betonten diese Woche zudem, dass Presse- und Kommunikationsfreiheit ein “verfassungsmäßig gewährleistetes Grundrecht” sei. Kurt Egger, Mediensprecher der ÖVP, lud die Medienverbände am Donnerstag zu einem “persönlichen Gespräch” ein, dies wohl nicht zufällig direkt nach Abschluss der ersten Verhandlungsrunde, wie es aus der FPÖ hieß.
9. Familie, Jugend, Frauen
Chefverhandlerinnen: Rosa Ecker (FPÖ), Claudia Plakolm (ÖVP)
Kritik vonseiten der SPÖ und des ÖGB kam am Plan der FPÖ, Frauen Mindestsicherung zu zahlen, damit sie Kinder daheim erziehen und nicht in den Kindergarten schicken. Die Rede ist von einer “Herdprämie”. Die zwei Parteien dürften sich in gesellschaftspolitischen Fragen jedoch schneller einige werden als bei anderen Punkten.
10. Pensionen, Gesundheit, Pflege, Soziales, Konsumentenschutz
Chefverhandlerin und Chefverhandler: Dagmar Belakowitsch (FPÖ), August Wöginger (ÖVP)
Die Freiheitlichen fordern eine “Aufarbeitung” der türkis-grünen Coronamaßnahmen, etwa in Form eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Offen ist auch noch, ob die Sozialbeiträge der Pensionisten von 5,1 auf 6 Prozent angehoben werden. Die Einnahmen könnten in das Budgetdefizit fließen.
11. Wirtschaftsstandort, Arbeit, Energie, Tourismus
Chefverhandler: Axel Kassegger (FPÖ), Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP)
12. Infrastruktur, Verkehr, Digitalisierung
Chefverhandlerin und Chefverhandler: Christian Hafenecker (FPÖ) und Claudia Plakolm (ÖVP)
13. Landwirtschaft & ländlicher Raum, Umweltschutz & Klimapolitik
Chefverhandlerin und Chefverhandler: Marlene Svazek (FPÖ), Georg Strasser (ÖVP)
Das schwarze Kernthema Landwirtschaft wird gleichzeitig mit den Bereichen Umweltschutz und Klimapolitik verhandelt. Dies deutet darauf hin, dass die Bereiche wieder in ein Ministerium zusammengeführt werden könnten. Im Bereich Klimapolitik sind bereits zahlreiche Maßnahmen kommuniziert worden, die Verhandler könnten sich hier schnell einig werden.