Die deutsche Brandmauer? Kennen wir!

Von Deutschland lernen heißt, sich wundern lernen. Während hierzulande die FPÖ seit Jahrzehnten fröhlich mitregiert, debattiert man im großen Nachbarland erregt über das Niederreißen der Brandmauer durch CDU-Chef Friedrich Merz. Was in Österreich längst zur politischen Folklore gehört, der pragmatische Tanz mit dem Rechtsextremismus, wird in Deutschland als moralische Zeitenwende inszeniert. Ach, hätten sie doch Jörg Haider erlebt!
„Wenn es ernst wird, muss man lügen.“ Dieses Zitat des legendären luxemburgischen Politikers Jean-Claude Juncker gilt natürlich auch für Friedrich Merz. Erst erklärte er die AfD zu Feinden des Rechtsstaates, dann will er vielleicht doch auf kommunaler Ebene mit ihr kooperieren. Und nun, Überraschung, wird die Brandmauer zu den Rechtsextremen erregt diskutiert, als wäre das alles neu und als spräche man von einem erprobten letzten Schutzwall vor der Barbarei. Der Anlass erscheint für österreichische Gepflogenheiten lächerlich: Die CDU hat eine Abstimmung zur Migration im Deutschen Bundestag durchgebracht – im Wissen, dass dies nur mit den Stimmen der AfD möglich ist. In Österreich hatten wir diese Debatten bereits ab 1986 mit dem Aufstieg Jörg Haiders geführt, 1999 mit dem blauen Wahlerfolg, 2000 mit der ersten schwarz-blauen Koalition, 2017 mit Sebastian Kurz’ neuer Volkspartei. Das Fazit? Die FPÖ ist immer noch da, regiert in den Bundesländern mit, wird wohl jetzt den Bundeskanzler stellen. Die Demokratie ist nicht untergegangen. Aber sie ist eine andere geworden, brüchig, ohne viel moralischen Über- und Unterbau, mit ungenierten Angriffen auf Menschenrechte, Justiz und Medien.
Deutschland hält noch eisern an seinem moralischen Dogma fest. Die CDU lehnt noch an einer Brandmauer, die ohnehin nie wirklich existiert hat. Denn seien wir ehrlich: In ostdeutschen Kommunen haben Union und AfD längst still und heimlich paktiert. Die CDU war immer eine Partei der Situationselastizität, um es mit dem legendären deutschen SPD-Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller zu sagen, damals in Bezug auf die Wirtschaft, heute in der Frage, mit wem man regiert. In Österreich ist das angesichts der Haltung der Unternehmer, der Industrie ähnlich.
Natürlich ist der deutsche Reflex verständlich. Wer Hitler gemacht hat, hält sich doppelt lange am antifaschistischen Geländer fest. Doch wenn eine Partei in Ostdeutschland bei 30 Prozent liegt, wird sie nicht verschwinden, nur weil die CDU laut in den Wald ruft. Angela Merkels „Wir schaffen das“, das wir alle so sehr liebten, hat die AfD gestärkt, die lange Verweigerungshaltung vielleicht auch. Der Versuch, das Problem wegzumoralisieren, ist jedenfalls gescheitert. Vielleicht, weil es an den richtigen Persönlichkeiten fehlte? Mit einem Blick auf die Welt allerdings mag man an der Hoffnung auf eine Lösung generell verzweifeln.
Also, liebe deutsche Nachbarn, wir haben das alles schon hinter uns. Der Pakt mit dem Teufel? Check. Die Sanktionen der EU-Mitglieder? Check. Der Weg in eine unmoralische Normalität? Check. Die FPÖ steht inzwischen wie ein Möbelstück in der politischen Landschaft: hässlich, aber man hat sich daran gewöhnt. Die Frage ist nicht mehr, ob man mit ihr kooperiert, sondern wie viel Schaden sie anrichtet, wenn man es nicht tut.
Winston Churchill wird ein Zitat über Amerikaner zugeschrieben, das er zwar offenbar so nie gesagt hat, umgemünzt auf Deutschland aber das Drama um die Brandmauer treffend beschreiben würde: „You can always count on the Germans to do the right thing, after they have tried everything else.“ Bleibt abzuwarten, wie lange es diesmal dauert.