Im Sandkasten zerbröselt die Republik

Stellen Sie sich eine Gruppe von Kindern vor, die im Sandkasten sitzt und darüber streitet, wer die größte Burg bauen kann. Die Kinder haben ein Problem: Alleine schafft es niemand. Also müssen sie zusammenarbeiten. Mit einem Buben möchte niemand sprechen. Also versuchen die anderen, zusammen eine Burg zu bauen. Schon nach kurzer Zeit beginnen sie zu bocken. Am Ende wirft ein Mädchen ihre Schaufel wutentbrannt in die Ecke und gibt auf. Aus Trotz tut es ihr ein Junge gleich. Der Außenseiter grinst schelmisch – jetzt braucht man ihn doch. Er versucht nun, mit einem der Gescheiterten die Burg zu bauen. Kurze Zeit später streiten die beiden noch heftiger als das Trio zuvor. Wer hat die größere Schaufel? Wie soll die Festung aussehen? Wer bekommt das Turmzimmer? Sie mögen sich nicht. Und haben zwei Möglichkeiten: Entweder einigen sich die Streithähne – und die Zusammenarbeit steht bei jedem neuen Kübel Sand auf der Kippe. Oder sie lassen es bleiben und im Sandkasten entsteht keine Burg.
Willkommen im Sandkasten namens Republik Österreich. Seit 130 Tagen warten wir auf eine neue Regierung. Die Parteien und ihre Verantwortlichen haben die Zeit genutzt – um ordentlich Porzellan zu zerschlagen. Wir wissen jetzt: Die Neos wollen Pensionsreformen, die Sozialdemokraten nicht. Die SPÖ möchte eine Bankenabgabe, die ÖVP jedoch nicht. Die ÖVP möchte jetzt doch eine, aber eine andere mit der FPÖ. Und die FPÖ möchte am liebsten alles. Am Ende kann niemand mit niemandem, die Republik taumelt führungslos durch eine stürmische Welt. Es wäre schön, langsam zu wissen, wohin die Reise geht.
Die FPÖ reiht sich nahtlos in die Liste fehlender Kompromissbereitschaft ein. Mehr noch: Sie übernimmt die Führung. Vom ersten Tag an zeigt Parteichef Herbert Kickl wenig Interesse an einer ruhigen Verhandlung. Sein ÖVP-Gegenüber Christian Stocker kontert. Der große Streit zwischen zwei Parteien, die vertrauensvoll für das Wohl des Landes zusammenarbeiten sollten, ist ausgebrochen. Als hätte die FPÖ den Wahlkampf nie verlassen, pocht sie auf Maximalforderungen, was in den jüngsten Ministerienlisten gipfelte. Als Drohung schwingt Kickl die Neuwahl-Keule. 2,5 Prozentpunkte trennen FPÖ und ÖVP, die Parteien liegen fast gleichauf. Trotzdem handelt die FPÖ so, als hätte sie die Absolute, als wäre die ÖVP eine Kleinpartei. Umgekehrt muss die Volkspartei einsehen, dass sie die Wahl verloren hat. Die FPÖ wird den Fehler der Gusenbauer-SPÖ aus dem Jahr 2006 nicht wiederholen und dem schwarzen Juniorpartner alle Schlüsselressorts überlassen.
Erfahrene Koalitionsverhandler berichten, dass die persönliche Wertschätzung der Parteispitzen untereinander entscheidend ist, damit eine Koalition zustande kommt – und hält. Karl Nehammer und Werner Kogler sollen lange gut miteinander ausgekommen sein. Bei Kickl und Stocker ist das offenbar anders. Eine Koalition wäre überaus brüchig.
Die Alternative: Der Steuerzahler darf mit 23 Millionen Euro eine weitere Nationalratswahl finanzieren – damit Österreichs Politiker vielleicht irgendwann wieder das tun, wofür sie bezahlt werden: eine Schaufel in die Hand nehmen, damit die Republik nicht zerbröselt wie eine Sandburg bei der ersten Welle.