Schluss damit!
Wolfgang Hattmannsdorfer, seit kurzem Generalsekretär der Wirtschaftskammer und einer der wenigen Hoffnungsträger der ÖVP im Ö1-Mittagsjournal zu den Koalitionsverhandlungen: „Wenn es nicht eine ganz klare proeuropäische Ausrichtung gibt, werden wir den Wohlstand in Österreich nicht halten können“. Er legte noch einen drauf und forderte eine „klare Westausrichtung und nicht Ostausrichtung“. Wenn die ÖVP das ernst meint, und diesmal wirklich, dann kann es keine Koalition mit der FP geben. Denn die FPÖ macht kein Hehl daraus, was sie von Europa hält: fast gar nichts. Ihre Russland-Liebe ist evident. Am Wochenende jubelte Herbert Kickl via Video beim ersten Gipfeltreffen der Rechtsaußenparteien „Patrioten für Europa“ Donald Trump zu. Jenem Trump, der Europas Wirtschaft gerade das Messer ansetzt. Den Ausstieg könnte die ÖVP mit Argumenten ihrer früheren Außenministerin Plassnik untermauern. Sie meinte in einem Gastkommentar für die „Presse“: „Österreich ist Teil des Westens. Wir haben nicht den geringsten Grund, dieses Fundament erfolgreicher Außenpolitik infrage zu stellen oder gar umzuwerfen, wie es die FPÖ offenbar plant.“ Und weiter: „Glaubt man Kickl, so will er den grundlegendsten aller Richtungswechsel in der österreichischen Außenpolitik vornehmen: gegen Brüssel, für Moskau. Diese Ungeheuerlichkeit tarnt er als Neuinterpretation der Neutralität.“ Zur Erinnerung: Plassnik war auch Außenministerin einer ÖVP-FPÖ-Regierung.
Jetzt fragen sich selbst glühende Befürworter der Koalition mit der FPÖ, also manche Vertretern der Wirtschaft, wieso man sich das überhaupt alles eingebrockt hat. Vergessen wir einmal, dass die ÖVP reihenweise Demütigungen geschluckt hat. Kickl hat nie verschwiegen, was er vorhat. Eine außenpolitische Neuausrichtung und jene Gefährdung des Sicherheitsapparates, die man nur durch seine Entlassung als Innenminister verhindern konnte. In einer Zeit der unverhohlenen Aggression Russlands und der Notwendigkeit, sich selbst verteidigen zu müssen, stellt Kickl das Abwehrsystem Sky Shield infrage, wegen angeblichen Verstoßes gegen die Neutralität. Unbeeindruckt davon, dass die neutrale Schweiz bei Sky Shield mit an Bord ist. Kickl will unabhängige Medien an die Kandare nehmen, vom ORF bis hin zum „Scheißblatt“ „Standard“. Jetzt droht Kickl damit, die Absetzbarkeit des Kirchenbeitrags oder der Beiträge an die Caritas zu kappen, was für eine christlich-soziale Partei eine Provokation darstellt. Andere Provokationen wie Rache für die Corona-Maßnahmen, Verbot von Windrädern, Notgesetze und Volksinitiativen am Parlament vorbei, seien nebenbei erwähnt.
Im Moment traut keiner dem anderen über den Weg. Auch wenn die beiden doch noch eine Vereinbarung zustande bringen: Wie lange würde ein solches von gegenseitigem Misstrauen getragenes Bündnis halten? Ein Jahr? Kürzer, wenn Kickl sich in Brüssel als Miniaturausgabe von Orbán aufplustert, entgegen allen scheinheiligen Zusicherungen? Die ÖVP hätte das alles billiger und vor allem den Regierungschef haben können, mit Zugeständnissen an die SPÖ (das gilt auch umgekehrt). Sie argumentiert die bisherige Unterwerfung mit einer „Verantwortung für Österreich“. Würde diese Verantwortung nicht zumindest jetzt verlangen: Schluss damit und Suche nach anderen Lösungen? Ob Neuwahlen, Gespräche mit Parteien außerhalb der FPÖ, Experten- oder Minderheitsregierung. Aktuell geht es bei FPÖ und ÖVP nur mehr darum, wer das Scheitern besser verkauft und wer den Schwarzen Peter für das Nichtzustandekommen der Regierung zugeschoben bekommt. Österreich kann sich diese Spielchen nicht mehr leisten. Lieber ein „Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“.
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
Kommentar