Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Kommentar: Die Beschwerlichkeit des Seins

Politik / 21.04.2025 • 09:59 Uhr

Menschen, die im Krieg in der Ukraine oder im Nahen Osten sterben. Menschen, die als Geiseln der Terrororganisation Hamas noch immer darauf warten müssen, nach Israel zurückkehren zu können. Ganze Kontinente, die durch die „America First“-Politik des amerikanischen Präsidenten Donald Trump wirtschaftlich und politisch in Turbulenzen geraten. Die Welt ist gerade kein lichter Ort, und wir Medien berichten jeden Tag darüber. Diese täglichen negativen und beunruhigenden Nachrichten sind mittlerweile für viele Leserinnen und Medienkonsumenten eine Last, die sie niederdrückt. Warum bringt Ihr Journalistinnen und Journalisten nicht mehr positive Nachrichten, fragen uns manche – und sie haben damit grundsätzlich recht.

Dass sich Medienschaffende vor allem mit negativen, harten Nachrichten beschäftigen, ist bis zu einem gewissen Grad eine Déformation professionnelle, also eine berufsbedingte Fehlbildung. Über Katastrophen oder Probleme zu berichten, aufzuklären, Kritik an Missständen zu üben, ist Teil unseres Kerngeschäfts. Dabei sind wir Medienmenschen längst keine „Gatekeeper“ mehr, die bestimmen, welche Inhalte das Publikum sehen soll. Wir sind Kuratorinnen und Kuratoren, die für die Einordnung der nie versiegenden Nachrichtenflut zuständig sind.

Sagen, was gut ist

Gleichzeitig befürchten viele in unserer Branche, als unkritisch zu gelten, wenn wir auch erfreuliche, konstruktive Nachrichten bringen, die für unser Publikum relevant sind. Diese positiven Nachrichten zu identifizieren, fällt mitten im Nachrichtensturm oft gar nicht leicht; wahrscheinlich auch, weil wir nicht gelernt haben, sie wahrzunehmen. „Die Sorge ist das Verhältnis zum Leben“, schrieb der dänische Philosoph Søren Kierkegaard 1849 – und man muss feststellen, dass die Sorge gerade heute eine Konstante in der menschlichen Existenz darstellt, da geht es Medienleuten genauso wie allen anderen Berufsgruppen. Dabei wäre es genauso wichtig, zu sagen, was gut ist, zu berichten, was die Welt voranbringt. Selbst wenn es ungewohnt sein mag, sich nicht auf die Beschwerlichkeit des Seins zu fokussieren. Es sind ohnehin die großen Social-Media-Plattformen, die Medienproduktion und Konsumgewohnheiten prägen. Heute kann jede, jeder ein Medium sein, ohne sich professionellen Regeln oder journalistischer Berufsethik zu unterwerfen. Instagram, X und Co. machen das möglich. Und diese Kanäle funktionieren eben leider in erster Linie über starke Emotionen und große Lautstärke, nicht über gepflegte Aufklärung und positive Bilder der Welt. Damit befeuern sie wiederum jene alten Haltungen im Journalismus, die wir dringend überwinden sollten: Nur schlechte Nachrichten sind interessante Nachrichten.

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und ist Redaktionsleiterin von ORF.at.