Kommentar: Wien bleibt Wien
Die Wiener Landtagswahl am kommenden Sonntag ist nach der Bildung einer Drei-Parteien-Bundesregierung mit ÖVP, SPÖ und Neos der erste gewichtige Stimmungstest. Wie immer sie ausgeht, wird sie die Regierung nicht in die Luft sprengen. Die Koalition ist derzeit nämlich schlicht und einfach alternativlos, und eine rasche Flucht in Neuwahlen für keine der Regierungsparteien erstrebenswert. Sie müssen erst wieder Kondition tanken, um die FPÖ auf Distanz halten zu können.
Einen Wiener Wahlerfolg der Freiheitlichen voraussagen zu können, dürfte kein großes Kunststück sein. Vor fünf Jahren hatte ihr der Ibiza-Skandal Straches ein Minus von 24 Prozent und einen Sinkflug auf einen Stimmenanteil von 7 Prozent eingebrockt. 2010 und 2015 war sie noch über 25 Prozent gelegen. Auch wenn sie bei der Nationalratswahl in Wien nicht daran anknüpfen konnte, macht sie sich Hoffnungen, an frühere Erfolge anschließen zu können. Alles andere wäre ein gewaltiger Vertrauensverlust für Herbert Kickl. Dazu kommt, dass sein Leib- und Magenthema eines zu hohen Ausländeranteils nach wie vor auf fruchtbaren Boden fällt. Vor allem in den Schulen bekommt die Politik die Probleme nicht in den Griff. Jeder zweite Schüler in Wien hat bereits einen Migrationshintergrund, und viele können mangels Sprachkenntnis dem Unterricht gar nicht folgen. Vor allem in den hauptsächlich betroffenen Bezirken Favoriten, Simmering und Floridsdorf, früher SPÖ-Hochburgen, macht sich die FPÖ Hoffnung auf Platz 1. Welche Herausforderungen auf das Zusammenleben mit Zugewanderten in den nächsten Jahren zukommen werden, wird bei einem Blick auf einen Ausländeranteil von inzwischen einem Drittel der Wiener Bevölkerung deutlich, 40 Prozent der Wienerinnen und Wiener sind im Ausland geboren.
Die Verluste der FPÖ kamen vor fünf Jahren am meisten der ÖVP zugute. Diese muss sich diesmal darauf einstellen, dass Stimmenzuwächse der Freiheitlichen vor allem auf ihr Konto gehen werden. Das hat sich bei der Nationalratswahl bereits mit einem Minus von 7 Prozent abgezeichnet. Anders als bei den Landtagswahlen der anderen Bundesländer wird sich die FPÖ von einem Wahlerfolg in Wien allerdings nicht viel kaufen können. Die Wiener SPÖ hat nicht nur eine ausgeprägte Abneigung gegen eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen, sondern mit den anderen Parteien gleich mehrere Koalitionsvarianten zur Auswahl, zumal ÖVP, Grüne und Neos keine fulminanten Ergebnisse und daher keine starken Verhandlungspositionen erwarten können. Bürgermeister Michael Ludwig, dessen SPÖ bei der Nationalratswahl ein überdurchschnittlich gutes Ergebnis zustande brachte, wird auch Proteststimmen für die FPÖ nicht in Gefahr bringen.
Weil nach der Wiener Landtagswahl eine bis Herbst 2027 dauernde wahlfreie Zeit anbricht, kann die Bundesregierung nun ungestört arbeiten. Günstigere Voraussetzungen hat es kaum einmal gegeben.
Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates (ÖVP) zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.
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