Kommentar: Ein guter Papst – ein schlechtes System
Papst Franziskus ist tot. Und ja, Nihil nisi bene, über Tote nur Gutes – eine Regel, die selten so leicht einzuhalten ist wie in seinem Fall. Jorge Mario Bergoglio, Jesuit, Argentinier, Menschenfreund, war ein guter Mann. Keiner, der sich in der Liturgie sonnte, keiner, der sich an der Macht berauschte. Ein Papst, der das Evangelium ernster nahm als den Apparat, und das ist in Rom schon eine kleine Revolution. Er sprach von Armut, lebte sie auch, setzte Zeichen der Demut, küsste Füße und wusch sie – auch Frauen und Muslimen. Er wollte eine Kirche, die hinausgeht an die Ränder – und ging selbst dorthin.
Doch mit dem Tod des Papstes öffnet sich ein größeres Fenster. Eins, das weit über die Frage seiner Nachfolge hinausreicht. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen – über eine Institution, die älter ist als jeder Staat, aber oft auch älter wirkt als jede Idee von Fortschritt.
Die historische Bilanz der katholischen Kirche? Ziemlich eindeutig. Sie war zu lange zu oft auf der falschen Seite der Geschichte. Die Scheiterhaufen dampften im Namen Gottes, die Kreuzzüge führten ins Elend, die Feigheit gegenüber dem Nationalsozialismus war nicht nur Feigheit, sondern auch stille Komplizenschaft. In Österreich wie in Deutschland schwieg man zu lange, zu laut.
Und die jüngere Vergangenheit? Doch auch einigermaßen düster. Eine autoritäre Institution, die sich erst unter äußerstem Druck zu zaghaften Geständnissen durchringen konnte. Hans Hermann Groer. Missbrauchsskandale, jahrzehntelanges Wegschauen, Vertuschen, Umlagern – eine moralische Bankrotterklärung. Die Namen der Täter und Vertuscher füllen eigene Archive, manche auch Gefängnisse. Eine westliche Demokratie wäre, jedenfalls bis vor Kurzem, gemeinsam mit dieser Charakterisierung implodiert.
Aber – und jetzt kommt ein Aber, das zählt – wer sich nicht nur an den Prunksälen des Vatikans abarbeitet, sondern hinschaut, dorthin, wo Kirche wirklich wirkt, der sieht etwas anderes. Die Caritas etwa – und ich spreche aus eigener Anschauung, aus Afrika, aus Slums, aus Hospizen – bringt Güte dorthin, wo sonst nur noch Not herrscht. Ohne Rücksicht auf Religion oder Herkunft. Die katholische Seelsorge – auf dem Land wie in der Stadt – ist oft das letzte soziale Netz, das noch hält. Da sind Priester, Schwestern, Ehrenamtliche, die täglich tun, wovon andere reden.
Doch dann wieder: die Amtskirche. Der Apparat. Die Farce des Zölibats, die sich flächendeckend und bis in die Boulevardpresse ständig also solche deklariert oder gar feiert. Die sexualfeindliche Doktrin, allenfalls heimlich Homosexualität duldend, das gestrige Frauenbild – irgendwo zwischen Vatikan und Viktor Orbán. Eine Kirche, die immer noch glaubt, sie müsse die Welt von oben belehren, obwohl ihr Fundament längst bröckelt. Der Vatikan selbst ist eine Oligarchie, ein religiöser Hochsicherheitsstaat, hermetisch gegen Demokratie, resistent gegen Transparenz.
Und nun? Nun stirbt nicht nur ein Papst, sondern eine Epoche. Wenn diese Kirche jetzt nicht den Wandel wagt, wird es bald niemanden mehr geben, der ihn ihr zutraut. Der neue Papst – wer immer er sein wird – steht vor einer Wahl, die größer ist als seine eigene Person. Will er der letzte Verwalter eines untergehenden Systems sein oder der erste Architekt eines neuen Anfangs?
Denn eins ist sicher: Wer Trump und Putin am Trauerrand erkennt, sollte sich fragen, wen diese Kirche gerade wirklich tröstet. Und wem sie längst nichts mehr sagt.
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