Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Kommentar: Die stärkste Armee Europas. Und Österreichs größte Schwäche

Politik / 16.05.2025 • 11:11 Uhr

Die Deutschen also wieder. Diesmal nicht mit Stahlhelm und Pickelhaube, sondern mit 100 Milliarden Sondervermögen und Panzerhaubitze 2000. Friedrich Merz hat gesagt, er will die stärkste Armee Europas. Und siehe da: Niemand begehrt auf. Kein Weltuntergang, kein Aufschrei der Friedensbewegung, nicht einmal ein verbaler Sitzstreik bei den Grünen.

Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Ausgerechnet Deutschland – einst mit gutem Grund nach Zweitem Weltkrieg und Holocaust das pazifistische Gewissenszentrum Europas – ist dabei, sich neu zu erfinden. Und gar nicht heimlich, sondern ganz offen, mit Ansage. Zunächst der in dieser Hinsicht unterschätzte Olaf Scholz mit seiner „Zeitenwende“, nun Merz mit seinem militärischen Führungsanspruch. Dass der CDU-Mann da nur ein längst begonnenes Projekt weiterdenkt, spricht für die neue Kontinuität der Deutschen. Keine Feigheit vor der unsäglichen Vergangenheit und vor der metastasierenden AfD. Wenn schon Putin Europa überfällt und Trump diesen abwechselnd ohrfeigt und ihm in den Hintern kriecht (laut Sebastian Kurz mit einem „genauen Plan“), dann bitte eine Bundesrepublik, die verteidigungsfähig ist.

Ohne Zweifel: Europa braucht eine starke militärische Säule, will es geopolitisch überleben – spätestens seit dem Rückzug der USA unter Trump I und nun Trump II. Wer da noch glaubt, in Wien, in Innsbruck oder im steirischen Ennstal, dass Neutralität Schutz biete, glaubt auch an den Weihnachtsmann mit russischem Pass.

Frankreich? Hat die Bombe, ist aber ökonomisch schwachbrüstig. Großbritannien? Militärisch potent, aber emotional noch im Commonwealth. Bleibt Deutschland. Dass es nun bereit ist, Verantwortung zu übernehmen – und zwar auch militärisch –, ist keine Gefahr, sondern eine Notwendigkeit. Ein wenig fühle ich mich an die Rationalität des damaligen deutschen Außenministers Joschka Fischer erinnert, eben noch Turnschuh-Grüner, der 1999 den ersten deutschen Kriegseinsatz nach 1945 im Kosovokrieg legitimierte – und zwar explizit mit einem – umstrittenen – Hinweis auf Auschwitz.

Und Österreich? Spielt weiter Bundesheer. Auf Niveau eines mittleren Feuerwehrkommandos. Die Neutralität, 1955 aus Kaltem-Kriegs-Kalkül geboren, wird heute wie ein Erbstück in Zellophan gehüllt. Nicht anschauen, nicht anfassen. Und keinesfalls darüber diskutieren. Der neue Koalitionspakt von Schwarz-Blau? Kein Wort zur Nato, kein Wort zu echter Bündnisfähigkeit. Man hat es nicht einmal versucht. Stattdessen ein Sicherheitsverständnis aus der Ära Kernöl und Kasperltheater.

Die Verteidigungsministerin? Redet nur von eigenbrötlerischer Aufrüstung. Die SPÖ? Weiterhin friedensbewegend. Die Neos? Immerhin gelegentlich einschlägig laut. Von der Außenministerin hat man aber noch kein eindeutiges Signal empfangen. Dabei ist es jetzt schon jenseits von hoch an der Zeit, endlich ernsthaft über eine neue sicherheitspolitische Verankerung Österreichs nachzudenken. Denn ohne Schutz der anderen gibt es keinen Schutz für uns.

Helmut Qualtinger bediente sich gerne dieses Zitats anonymer Herkunft: „Die Österreicher tun nichts lieber, als im Ernstfall zu proben.“ Damals war es Satire. Heute ist es Regierungspolitik.

Und während Deutschland aufrüstet, rüstet Österreich ab – an Ernsthaftigkeit, an Zukunft. Wer nicht einmal im Schatten der 80-Jahr-Feiern zum Ende des Zweiten Weltkrieges und mit einem großen Krieg vor der Haustür eine sicherheitspolitische Debatte führt, wird irgendwann von der Geschichte überrollt. Vielleicht mit Panzern, jedenfalls mit Verachtung.