Hundert Tage Standby-Modus

Hundert Tage Regierung also. Man nahm das in der Vergangenheit stets als Melodie, welche die Taktung einer Legislaturperiode erkennen ließ. Dieses Mal ist es aber bloß das Hintergrundrauschen einer Koalition, die sich pragmatisch eingerichtet hat, ohne auch nur an einem Zwischenstopp angekommen zu sein. Hundert Tage, in denen viel verwaltet, wenig gesagt und nichts gestaltet wurde. Hundert Tage, nach denen man nicht weiß, was war, nur dass etwas gewesen sein muss, weil der Kalender es behauptet.
Drei Fragen helfen beim Erinnern. Gibt es ein Projekt? Eine Rede? Einen Satz? Drei Prüfsteine für politische Wirksamkeit. Drei Gelegenheiten, um Spuren zu hinterlassen.
Ein Projekt?
Keines, das sichtbar wäre. Keines, das über Absicht hinausgeht. Kein Leuchtturm, nicht einmal ein Nachtlicht. Stattdessen Stückwerk, Durchreichung, Verwaltungsarbeit ohne politische Wirkung. Der Finanzminister verschiebt Zahlen wie Bauklötze, aber kein Gebäude entsteht. Von Strukturreformen keine Spur, von mutigen Vorstößen keine Rede. Der Elefant im Raum, das Pensionssystem, schläft unter dem Schreibtisch. Man verwechselt politische Enthaltsamkeit mit Bürgernähe. Die Regierung verabreicht Placebos gegen strukturelle Probleme, homöopathisches Regieren in der Dosis eins zu unendlich. Die große Geste wird vermieden, die kleine justiert. Der Staat als Wartungseinheit seiner selbst.
Eine Rede?
Gab es eine Rede, die hängen blieb? Eine, die den Gedankenraum verändert hätte? Nicht bloß Text, sondern Inhalt? Beim Europa-Forum Wachau am vorvergangenen Freitag sprach Christian Stocker. Genauer gesagt: Er stand dort, wo ein Mikrofon wartete. Was man hörte, war ein Vortrag als Buchstabensuppe. Sprachlich schmerzhaft bemüht, inhaltlich bedeutungsneutral. Sigmar Gabriel, der ehemalige deutsche Vizekanzler, sprach dort auch. Er hielt eine Rede wie ein Gedankenraubtier: schnell, wach, präzise. Daneben der österreichische Bundeskanzler: Stocker redet, um nichts zu sagen, und er tut es mit beeindruckender Präzision. Er ist der Premierminister der Klangvermeidung, ein Kanzler im Lautlosmodus. Wer Harmonie für Haltung hält, ist bei ihm gut aufgehoben.
Ein Satz?
Ein einziger? Fällt Ihnen einer ein? Ein Halbsatz? Ein Wortgebilde mit Gewicht? Ich habe gesucht. Ich habe gelauscht. Nichts. Keine Äußerung, kein Wutanfall mit Wahrheitskern. Nur korrektes Sprechen aufgeschäumt zur Inhaltslosigkeit. Bloß Sprechblasen, die durch das Regierungsrund schaukeln wie Kugeln in einer Lavalampe: träge, warm, bedeutungslos.
Deshalb meine aufrichtige Bitte: Helfen Sie mir! Wenn Ihnen aus diesen hundert Tagen ein einziger Satz begegnet ist – aus einer Rede, einem Interview, einem Pressestatement –, der Ihnen klug, mutig oder auch nur bemerkenswert erschien, schreiben Sie mir! Ein einzelnes Wort reicht. Ich verspreche, alles zu lesen. Und sollte darunter tatsächlich etwas sein, das trägt, werde ich es im nächsten Kommentar zitieren.
Diese Koalition betreibt Sprechblasenmanagement. Sie sendet Lärmfreiheit als Programm. Kein Skandal, kein Debakel, nicht einmal ein Geplänkel. Nur der Versuch, das Land durchzumoderieren und sich dabei abseits von schablonenhaften Social-Media-Beiträgen möglichst nicht zu zeigen.
Das ist nicht Politik, das ist Betriebsruhe mit großem Kabinett. Manche nennen das Pragmatismus. Ich nenne es Regierung im Standby-Modus.