Warum jede zweite Lehre im Land abgebrochen wird

Statistisch gesehen wird mehr als jede zweite Lehre abgebrochen. Doch dahinter steckt etwas anderes.
Bregenz Die Vorarlberger Grünen schlugen Anfang der Woche Alarm. “Die Hälfte aller begonnenen Lehren werden abgebrochen – das ist ein Alarmsignal”, war sich Parteichefin Eva Hammerer bei einer Pressekonferenz sicher. Sie forderte die Landesregierung auf, zu handeln. Hammerer untermauerte ihre Sorge mit Zahlen aus dem Bildungsmonitoring des Landes. Darin ist zu sehen, dass im Jahr 1725 Personen im Land eine Lehre abgeschlossen haben. Im selben Jahr sind 1012 Lehrverträge abgebrochen worden. Was ist da los?
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Nachfrage bei einem der größten Lehrbetriebe im Land. Der Beschlägehersteller Blum bildet fast 400 Lehrlinge in elf Lehrberufen aus. Ausbildungsleiter Robert Kaufmann kennt die Statistik: “Wir wissen, dass in Vorarlberg annähernd jedes zweite Lehrverhältnis aufgelöst wird. Unsere Quote ist deutlich niedriger, wir liegen bei rund 10 Prozent.” Er ist überzeugt: “Für den Ausbildungserfolg entscheidend ist die Beziehung von unseren Lehrlingen zu ihren Ausbilderinnen und Ausbildern. Um diese zu stärken, gibt es gemeinsame Sporteinheiten im ersten Lehrjahr, Workshops und regelmäßige Gespräche über die gesamte Ausbildungsdauer. Unsere Berufsverantwortlichen zeigen ihnen zudem auch mögliche Perspektiven nach der Lehre auf.”

Auch die Rhomberg-Bau-Gruppe bildet Lehrlinge in vielen Bereichen aus, von der Hochbauerin bis zum Schreiner. Anja Unterassinger aus der HR-Abteilung der Gruppe kann den allgemeinen Trend aus dem Bildungsmonitoring nicht bestätigen. “Natürlich kommt es während der Lehrzeit immer wieder einmal zu kleineren Durchhängern oder schwierigen Phasen – das ist bei jungen Menschen aber wahrscheinlich ganz normal. Allerdings erleben wir nur sehr vereinzelt tatsächliche Lehrabbrüche, und sicher nicht in jedem Jahr.”
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Vorarlbergs Energieversorger Illwerke VKW hat neun Lehrberufe im Angebot, in denen rund 100 Lehrlinge ausgebildet werden. Auch dort berichtet man von nur einzelnen Lehrabbrüchen. “Dieses Jahr wurde ein Lehrvertrag aufgelöst”, erläutert ein Unternehmenssprecher. Und zwar krankheitsbedingt. Üblicherweise würden die Lehrverhältnisse von den Lehrlingen abgebrochen. “Manche krankheitsbedingt, aber auch falsche Berufswahl oder andere private Gründe (Umzug, usw.) sind mögliche Ursachen.”

Die falsche Berufswahl scheint einer der Hauptgründe zu sein, die meisten Lehrabbrecher wechseln die Ausbildung. Im Bildungsmonitoring ist zu lesen: “Ein weitaus geringerer Teil bricht die Ausbildung ab, ohne eine andere Ausbildung zu beginnen bzw. fortzusetzen.” Das wird von einer zweiten Zahl untermauert: Rund die Hälfte aller Abbrüche erfolgt im ersten Jahr, im vierten Lehrjahr nur noch drei Prozent. Betroffen ist vor allem der Bereich Gewerbe und Handwerk, was allerdings wenig überraschend ist. 44 Prozent aller Lehrlinge finden sich in diesen Branchen – 44 Prozent aller Vertragsauflösungen ebenfalls. Anders sieht es im Tourismus und im Handel aus. Dem Tourismus sind zehn Prozent aller Lehrlinge aber 17,5 Prozent aller Auflösungen zuzuordnen, dem Handel 13 Prozent aller Lehrlinge und 16 Prozent aller Vertragsauflösungen. In der Industrie sieht die Sache umgekehrt aus. 18 Prozent aller Lehrlinge stehen 9 Prozent aller Auflösungen gegenüber. Die meisten Auflösungen geschehen einvernehmlich (35 Prozent) oder nach Ablauf der Probezeit (27 Prozent). Einseitige Auflösungen kommen meistens von den Lehrlingen (30 Prozent) und nur selten von den Unternehmen (acht Prozent).
Ein Trend, den man bei Rhomberg Bau bestätigen kann. “Wenn es zu einer Auflösung eines Lehrvertrags kommt, liegt das in der Regel an persönlichen Gründen der Lehrlinge – etwa einer Neuorientierung, schulischen Überforderung oder privaten Herausforderungen. Von unserer Seite aus kommt es äußerst selten zu solchen Schritten, da uns eine gute Betreuung und Begleitung während der gesamten Lehrzeit sehr wichtig ist”, erläutert Anja Unterassinger.
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Blum-Ausbildungsleiter Robert Kaufmann sieht einen der Gründe für die Abbrüche im großen Ausbildungsangebot: “Hinzu kommt die gesellschaftliche Komponente, dass der Druck, während der Lehre ‚Durchalten zu müssen‘, abgenommen hat. Man probiert schneller etwas Neues.” Bei Blum versuche man alles, die Lehrlinge dazu zu motivieren, ihre Lehre nicht vorschnell abzubrechen; dazu zählen regelmäßige Gespräche mit den Eltern, sagt Kaufmann. Ähnliches berichten die Illwerke VKW. Man habe natürlich mehr Möglichkeiten als kleine Betriebe, wenn es darum geht, Lehrlinge zu halten. Dazu zähle schon der intensive Auswahlprozess. “Wir machen immer wieder Elterngespräche und sind mit den Berufsschulen in regelmäßigem Austausch”, berichtet ein Unternehmenssprecher. Zudem biete das Unternehmen für viele Probleme Anlaufstellen, zählt er auf: “Ein Ausbilder mit Ausbildungen im Bereich der Krisenintervention, ein Ausbilder mit Erfahrung in der Sozialarbeit, Gesundheitsteam, Betriebsärzte, Betriebspsychologen, …”
Auch bei Blum sieht man einen Ansatzpunkt schon vor Beginn des Lehrverhältnisses, allerdings ist nicht nur das Unternehmen gefordert. Für Kaufmann steht fest: “Schülerinnen und Schüler brauchen generell mehr Unterstützung in der Berufsorientierung, nicht von den einzelnen Lehrpersonen, sondern institutionalisiert vom Schulsystem – insbesondere hinsichtlich der MINT-Fächer.”