Julia Ortner

Kommentar

Julia Ortner

Kommentar: Wir wissen nicht, was Krieg ist

Politik / 24.06.2025 • 07:15 Uhr

Eine neue Eskalationsstufe im Krieg ist an sich nichts, worauf man stolz sein kann. Donald Trump ist nach dem großen US-Angriff auf die iranischen Atomanlagen in der Nacht auf Sonntag dennoch enthusiasmiert von der Leistung seiner Truppe. „Gratulationen an unsere großen amerikanischen Kämpfer. Es gibt kein anderes Militär in der Welt, dass das hätte vollbringen können“, schreibt der amerikanische Präsident auf der Social-Media-Plattform X. Da stellt man sich heldenhafte Piloten vor, alle sehen aus wie Tom Cruise aus, in der jungen und älteren Version; die „Warriors“ starten vor schnulziger Musik in den Himmel und retten die freie Welt vor dem Bösen.

Doch Krieg ist kein Abenteuer und kein Hollywood-Blockbuster. Krieg ist auch kein Mannschaftssport, bei dem das tüchtigste Team gewinnt und die anderen leider sterben müssen, weil das eben zum Kampf dazugehört. Krieg kann man in seiner ganzen existenziellen Wucht wahrscheinlich nur dann begreifen, wenn man ihn selbst erlebt hat oder Menschen aus dem eigenen engen Umfeld kennt, die ihn erlebt haben. Alle anderen sind ahnungslos, wenn sie über den Krieg parlieren und sollten besser schweigen. Der Krieg als Vater aller Dinge – sobald wieder irgendein ahnungsloser Mensch in einem wohltemperierten Land wie Österreich dieses Heraklit von Ephesos zugeschriebene Zitat einsetzt, möchte man am liebsten rufen: Niemand interessiert sich für Deine Meinung zum Krieg! Hör lieber jenen zu, die wissen, was er bedeutet.

Der Krieg ist den meisten von uns fremd, zu unserem großen Glück. Er ist hierzulande nur jenen Menschen vertraut, die etwa aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus Syrien oder der Ukraine zu uns geflohen sind. Wenn man die Möglichkeit hat, mit ihnen über ihre Erfahrungen zu sprechen, bekommt man erst einen Eindruck vom Wesen des Krieges, was er mit dem Menschsein und den Menschen macht. Der international renommierte österreichische Militäranalyst Franz-Stefan Gady hat mir dieses Wesen einmal so erklärt: Die Natur des Krieges erzeugt Hass und Irrationalität und wird nie kontrollierbar sein; kontrollierbar ist nur der Charakter des Krieges, also die Technologien, die dafür benutzt werden.

Durch die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine und im Nahen Osten entwickelt sich derzeit erst ein Verstehen, das sich gerade auch in einem Wunsch nach einer starken europäischen Sicherheitspolitik zeigt, die sich nicht so von den USA abhängig macht wie bisher. Dass Europa sich nicht mehr nur unter den Schutz anderer stellen kann, haben wir verstanden. Was die Rückkehr des Krieges künftig für unsere Gesellschaften bedeuten könnte, müssen wir erst lernen.

Julia Ortner ist Journalistin mit Vorarlberger Wurzeln, lebt in Wien und ist Redaktionsleiterin von ORF.at.