Kommentar: „Die Pornografie ist für uns alle Neuland“

Eben las ich, dass man in Großbritannien künftig sein Gesicht zeigen muss, um ein Porno-Video anzusehen. Nicht beim Bregenzer Trafikanten oder auf dem Feldkircher Schulhof, sondern im Internet. Die Kamera, so die Vorstellung der Behörden, erkennt dann, ob das Gesicht dem Inhalt altersmäßig gewachsen ist. Und weil das im Vereinigten Königreich zukunftsgerichtet so gut funktioniert, wird es bei uns in einem Ministerium bereits diskutiert. Oder genauer: digital emuliert. Die Gesichtserkennung per Laptopkamera als Eintrittskarte zur Lust, zur Lüge, zur Literatur. Ich musste lachen, als ich das gelesen habe. Dann habe ich gezuckt. Denn es ist ernst gemeint.
Dasselbe Lachen überkommt mich, wenn ich Politikerinnen und Politiker, Lehrerinnen und Lehrer höre, die Social Media in Schulen verbieten wollen, am besten auch gleich den Strom und die Zeit. Wenn Eltern den Moment beklatschen, in dem endlich jemand – Minister, Direktorin, ORF-Kommentator – sagt, dass TikTok das Hirn auffrisst. Als ob es je ein Bildungssystem gegeben hätte, das seine Probleme durch Verbot von Realität gelöst hätte.
Und dann die Messenger-Control. Wer einmal auf einen Überwachungsausdruck wie „Chatkontrolle“ kommt und nicht sofort errötet, sollte einen demokratiepädagogischen Auffrischungskurs besuchen. Ich rede gar nicht von Orwell. Ich rede vom Fehlen jedes Verständnisses. Ein Internet, das man mit Filter und Kamera in den Griff bekommen möchte, ist wie ein Tsunami, den man mit Gummistiefeln und Megaphon aufhalten will.
Diese Generation also. Also meine. Unsere. Die die Zeitung rascheln hören will. Die stolz davon erzählt, wie schön es sei, Papier zu fühlen. Die sich eine Zeitschrift nicht wegen des Inhalts, sondern wegen des Gewichtes kauft. Die findet, dass ChatGPT gefährlich, aber auch irgendwie faszinierend sei, weil es antwortet, wenn man was fragt. Die beim Wort “Server” an ein Restaurant denkt.
Das Missverständnis ist beidseitig, aber ungleich. Denn die Welt wird nicht mehr durch Erfahrung, sondern durch Gegenwart strukturiert. Die Geschwindigkeit der Disruption – ein Wort, das die meisten Menschen über 60 für eine Krankheit halten – ist höher als je. Vom Pferd zum Pferdewagen, vom Auto zum Algorithmus, von der Dampfmaschine zur Datenflut in einem Satz, den sich ChatGPT ausgedacht hat. Und trotzdem oder deshalb regieren Menschen, die Angela Merkels legendären Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland“ für eine Pionierleistung halten.
Was wissen diese Menschen von Discord-Servern, Fancam-Ästhetik oder Deepfake-Ethik? Von Augmented Angst und TikTok-Tränen? Sie regulieren etwas, das sie nicht verstehen. Sie greifen mit der Hand nach einer Cloud.
Gleichzeitig aber – und das gehört dazu – besteht die Gen Z mehrheitlich aus Personen, die den Namen Haider nicht mehr gehört haben, denen Androsch klingt wie eine Landwirtschaftsmaschine, für die 1989 das Gleiche ist wie 1789 oder 1984. Wissen, woher man kommt, hilft zu erkennen, wohin man geht. Und manche dieser Digital Natives stolpern eben nicht über ihre Herkunft, sondern über deren völlige Abwesenheit.
Wir haben also eine Generation, die nichts versteht, und eine, die alles zu schnell vergisst. Die einen leben in der Vergangenheit und bauen dort Schranken, die anderen sprinten in eine Zukunft, deren Konsequenzen sie nicht mit Erfahrung bedenken. Und irgendwo dazwischen entscheidet ein Algorithmus, ob dein Gesicht alt genug ist für nackte Haut.