Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Kommentar: Bregenz zieht blank

Politik / 11.07.2025 • 15:32 Uhr

Wer hätte das gedacht: Das konservative Vorarlberg, Heimat traditionsbewusster Sittenbewahrer, macht Nägel mit Köpfen – oder besser: lässt Köpfe und Nägel nackt baden. Seit Ende Juni 2025 ist in Bregenz ein 200 Meter langer Uferabschnitt offiziell für FKK vorgesehen, befristet bis Ende 2026. Was bisher geduldet, aber streng genommen gesetzeswidrig war – ein reger Austausch zwischen Haut und Wasser – wird nun endorphinreich legalisiert.

Dass Nacktbaden laut Vorarlberger Sittenpolizeigesetz grundsätzlich tabu ist, wissen Kenner ohnehin. Aber wenn die Gemeinde per Verordnung sagt „okay“, dann ist es eben schon ein ganz formal-open-mindedes Vorarlberg. Ironie der Region, die ihre Bürger lieber in Juppe und Janker sieht, aber offenbar auch ein Herz für freie Körper entwickelt.

Der legalisierte Streifen liegt diskret östlich des Wocherhafens – von außen unsichtbar, dafür mit Holzpfählen und Schildern abgesichert: „Nicht fotografieren!“, und „Naturschutzgebiet hier beginnt’s!“ Schon fast wie ein Mini-Club mit Dresscode und Eintrittsregeln.

Und weil man’s ernst nimmt: Ein rustikaler Pfostenzaun mit vier Hinweistafeln soll die FKK-Enthusiasten vom umliegenden Natura-2000-Schutzgebiet der Mehrerauer Seeufer fernhalten. Denn bereits vor der offiziellen Öffnung hatte die Alliance for Nature Bedenken angemeldet: Die zunehmende Beliebtheit (Stichwort „Magnet“) könnte die ökologische Balance stören – etwa seltene Vögel wie den Großen Brachvogel, Pirol oder Gelbspötter.

Ein Pyrrhussieg in Bade-Schlappa?

Fraglos, die (Illegal‑)Nacktbader feiern einen Triumph der Freiheit. War es bisher ein kleines Triumphgefühl auf heimlichen Missionen, so gibt’s jetzt offiziell einen Ort der Befreiung. Ein Sieg … vielleicht der pyrrhushaften Sorte. Denn einerseits klingt „befristet bis Ende 2026“ eher nach einem zögerlichen Testballon als nach feuriger Liberalisierung. Andererseits durchleben Naturschützer eine Geduldsprobe. Ein Magnet für Freibader aus Vorarlberg und der Schweiz, nichts Neues. Aber nun mit offizieller Einladung. Und was, wenn das Häufchen FKK-Fans die Flora oder Fauna belagert? Der Zaun mag die Menschen bremsen – die nassforsch Entschlossenen lassen sich kaum aufhalten.

Historisch betrachtet ist das fast schon klassisch menschennah für Bregenz: Bewahrt die Natur, aber erlaubt dann doch. Schon in den 1990er‑Jahren gab’s das erste Naturschutzkonzept, 2006 kehrte der Biber zurück – seitdem geht kaum noch etwas ohne Kompromisse zwischen Mensch und Tier. Jetzt also Haut gegen Hoverboards, Schilder statt Schranken.

Vorarlbergs Image auf dem Prüfstand

Konservativ war gestern. Wer in Bregenz nackt badet, ist nicht mehr der skandalträchtige Freigeist, sondern ein offizieller Besucher. Keine Buh-Rufe, keine Strafandrohung – nur ein Schild und ein Lächeln. Positiv, okay. Aber die Frage bleibt: Wandelt sich das Bild der Vorarlberger hin zum aufgeklärten Strandstaat – oder sind wir auf dem Weg in einen Mini-Sylt-FKK-Hotspot? Die Antwort ist offen – wie das Bade-Outfit mancher.

Fazit: Bregenz hat Mut bewiesen. Oder vielleicht Wagemut. Ein Stück Freiheit, eingerahmt in Holzpfosten, Spuren von Naturschutz und der Aussicht auf Evaluation. Nackte Tatsachen eben: Gut gemeint, fein durchdacht – und vielleicht doch ein wenig provokant. Denn der Mix aus liberalem Sittenbruch und ökokonservativer Vorsicht ist ein kleines Meisterwerk vorarlbergischer Pragmatik.

Liebe, gegebenenfalls nasse Seelen: Wettern wir nicht – sondern freuen uns, dass es vorangeht! Und die Sittenwächter? Die schauen zwar wachsam, aber offenbar auch amüsierbereit. Hygiene, Haut und Horchtöne – willkommen in der neuen Bregenzer Dekade!