“Der Schneesturm” gegen den Hitzetod der Moral

Politik / 17.08.2025 • 14:43 Uhr
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Bei fast 30 Grad Außentemperatur verdunstete selbst der fantasievollste Bühnenschnee in Windeseile.SF/Sandra Then

Kirill Serebrennikov gestaltete seine Bühnenversion des Sorokin-Romans auf der Perner-Insel.

Salzburg Im Zuschauerraum lief die kühlende Lüftung auf Hochtouren, um die Schwüle dieses heißen Sommerabends aus der ehemaligen Salinenhalle der Perner-Insel zu vertreiben, auf der Bühne taten August Diehl und Filipp Avdeev ihr Möglichstes, um zähneklappernd den drohenden Erfrierungstod darzustellen: Das war die ziemlich absurde Situation, die sich am Samstagabend bei “Der Schneesturm” bot. Besonders herzlichen Schlussapplaus erhielten Regisseur Kirill Serebrennikov und Autor Wladimir Sorokin. Die beiden mittlerweile im Exil lebenden Künstler gelten als scharfe Kritiker des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin. Die spezielle Russland-Connection verdankt sich der entlassenen Schauspielchefin Marina Davydova, die als eine der frühesten Förderinnen von Serebrennikov gilt und auch mit einem Essay über ihn im Programmheft vertreten ist. Die 2010 geschriebene Novelle “Der Schneesturm” ist ein fantastischer Mix aus alten russischen Erzählmotiven und Science-Fiction. Der Arzt Dr. Garin versucht sich unter widrigsten Bedingungen in ein einsames Dorf durchzuschlagen, wo eine Epidemie wütet und das Gegenmittel sehnlich erwartet wird. Die Zeit ist kostbar. Ein einziger Kutscher ist bereit, mit seinem von winzigen “Pferdis” angetriebenen Schneemobil die Fahrt durch die Nacht zu wagen.

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SF/Sandra ThenAugust Diehl als Dr. Garin mit Claudius Steffens.

Serebrennikov hat für sein Salzburg-Debüt nicht nur mit August Diehl als fanatisch auf Tempo drängenden Arzt und Filipp Avdeev als stoischen Kutscher Perkhusha zwei tolle Darsteller zur Verfügung, die den Wahnsinn dieses Abenteuers mit ganzem Einsatz verkörpern (wobei der nicht deutsch sprechende Avdeev seinen Text phonetisch lernte – eine besondere Leistung!), sondern greift auch auf Kollegen aus dem früheren Gogol-Center Moskau zurück. Dass die Mitglieder der neben dem Düsseldorfer Schauspielhaus als Koproduzenten auftretenden KIRILL & FRIENDS Company eine eingespielte Truppe sind, die Tanz, Schauspiel und Musik selbstverständlich zu verbinden imstande sind, merkt man sofort. Serebrennikov setzt in seiner Bühnenlösung auf eine ringelspielähnliche Kutschen-Plattform, die daran erinnert, dass nicht nur Ulrich Rasche mit seinen “Maria Stuarda”-Scheiben den Dreh heraus hat und zwei Raumfahrer-ähnliche Glashelme, die Live-Bilder der Gesichter von Kutscher und Passagier in Großformat projizieren. Auf einem langen, laufstegartigen Tisch an der Rampe kann u.a. eine ganze Winterlandschaft ausgerollt werden, in der – ebenfalls per Livecam übertragen – die Schlittenfahrt durchs Winter-Horrorland in Miniatur nachgestellt wird. Serebrennikov hat in seiner Textfassung eindrucksvolle Romanepisoden wie die Begegnungen mit einer hitzigen Müllerin, einer Drogengang, die Dr. Garin seinen ersten Trip mit einer pyramidenförmigen Droge beschert, sowie der Leiche eines Riesen, in dessen Nasenloch eine Kutschenkufe stecken bleibt, behalten und zu eindrucksvollen Szenen ausgebaut. Aus dem Buch vermisst man etwa den “lebendgebärenden Filz”, aus dem rasch ein schützendes Zelt wachsen kann, oder das holografisches Bilder-Radio mit fortschrittlicher Technologie und vorsintflutlichem Programm.

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SF/Sandra ThenGroßer Schlussapplaus.

Dennoch zieht sich die von Dauerschneefall begleitete Kutschenfahrt ganz schön, denn aus der Aneinanderreihung von Episoden wird kein zwingendes Ganzes. Im Buch heißt Dr. Garins Ziel Dolgoje, auf der Bühne wird daraus “Langenweiler”. Während so mancher Zuschauer sich schon nach einer Stunde an diesem Ziel wähnt, dauert es in der Inszenierung ganze drei Stunden, bei denen am Ende alles scheitert und den Chinesen in die Hände fällt. Das klingt erstaunlich aktuell – doch vordergründig politisch ist der Abend nicht. Die Metapher des Lebens, an dem der Weg bereits das Ziel ist, und das Überwinden von Schwierigkeiten zugunsten einer besseren Welt eine Lebensaufgabe darstellt, vermittelt sich dagegen unmittelbar. Darauf beharren nämlich Sorokin wie Serebrennikov: Poesie und Kunst dürfen auch in Zeiten des Kriegs nicht von ihrer Aufgabe als moralische Richtschnur lassen und sollen sich nicht unmittelbar politisch einschalten. So gesehen ist dieser “Schneesturm” wohl ein Erfolg. Die letzte Schauspielproduktion der Salzburger Festspiele 2025 wurde am Ende lange gefeiert.