Kommentar: Mehr Europa notwendig
Die EU ist ein beliebter Sündenbock für vieles, was nationale Regierungen im eigenen Wirkungsbereich nicht zustande bringen. Die ganz besonders intelligenten Regierungschefs wie Ungarns Orban schwafeln den Menschen sogar vor, dass ein Zurück zu mehr Nationalstaatlichkeit von Vorteil wäre. Was das aber wirklich bedeuten würde, sieht man am jüngsten Beispiel der Zollpolitik der USA. Sie behandelt den Kleinstaat Schweiz so, wie es seiner internationalen Bedeutung entspricht, und brummen ihm mehr als doppelt so hohe Zölle auf, wie der EU. Auch das Beispiel Großbritannien zeigt, dass mehr Nationalstaat letztlich nur weniger Wohlstand und geringeres Wirtschaftswachstum bedeutet. Dabei wurden den Menschen beim Austritt aus der EU geradezu paradiesische Zustände versprochen.
Auch in Anbetracht der Schwächen der bestehenden EU liegt eine gedeihliche Zukunft in Sicherheit und Wohlstand nicht in nationalen Alleingängen, sondern in vertiefter Zusammenarbeit. Es braucht dringend eine engere verteidigungspolitische Zusammenarbeit Europas, mehr Freiheit für unternehmerisches Handeln, ein großes europäisches Investitionsprogramm zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Abkehr von der unverhältnismäßigen Klimapolitik, die wenig bewirkt und unglaublich viel kostet.
Während die konkurrierenden Wirtschaftsblöcke China, Indien und die USA ihre Unternehmen am Weltmarkt unterstützen, arbeitet Europa an noch mehr Regularien. Diese mögen im Einzelfall vielleicht Sinn machen, in Summe aber wirken sie lähmend. Dazu kommt ein traditionelles Misstrauen gegenüber Freihandelsabkommen, obwohl gerade der Handel viel zum Wohlstand Europas beigetragen hat.
Aber selbst heute, angesichts des völlig abwegigen und rechtswidrigen Verhaltens der USA, werden wichtige Abkommen der EU mit dem Mercosur und Indien nicht rasch geschlossen, sondern wird endlos an wirklich unbedeutenden Detailfragen herumlaviert. So soll ein künftig möglicher eineinhalbprozentiger Anteil an der EU-Fleischproduktion aus dem Mercosur die europäische Landwirtschaft, die ein Nettoexporteur von Fleisch ist, erschüttern. Das ist angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung dieses Abkommens und des vergleichsweise sehr hohen Subventionsniveaus der EU-Landwirtschaft nur schwer nachvollziehbar.
Europas Bürger werden jedenfalls gut beraten sein, den EU-feindlichen Kräften, die sich selbst zum Teil als Patrioten bezeichnen, nicht auf den Leim zu gehen, sondern für ein eigenständiges, starkes Europa einzutreten. Das ist nicht nur angesichts der internationalen Krisen angeraten, sondern eine Voraussetzung, wenn wir wollen, dass auch unsere Nachkommen in einer demokratischen, rechtsstaatlichen und wohlhabenden Gesellschaft leben können.
Rainer Keckeis ist ehemaliger AK-Direktor Vorarlberg und früherer Feldkircher VP-Stadtrat.
Kommentar