Kommentar: Beinharter Journalismus
SPÖ1 – das ist kein Wunschkennzeichen eines engagierten Sozialdemokraten. So heißt ein in Kürze auf YouTube abrufbares Bewegtbild-Format, mit dem die SPÖ „Inhalte näher an die Menschen“ bringen möchte. Wir leben in einer Zeit, in der politische Kommunikation stark über Social Media und Video-Kanäle läuft. Die Grünen haben das längst im Angebot, die ÖVP hat (noch?) nichts Vergleichbares, die NEOS bieten Redebeiträge und Interviews auf der eigenen Website an.
Was die SPÖ jetzt macht, ist nichts anderes als ein Erfolgsmodell der FPÖ zu kopieren. Der freiheitliche Kanal läuft seit 2012 und hat beeindruckende Reichweiten: 239.000 Abonnenten, ca. 183 Millionen Gesamtaufrufe, fast 8.000 Videos. Die Inhalte: Reden, Interviews, Analysen und Wahlkampf-Videos. Tägliche Aufrufe zwischen 40.000 und 90.000. Vergangenen Samstag, Bundesparteitag, hatte FPÖ-TV 248.000. Die Überschriften der Videos zeigen, woher der Wind weht: Grandiose Rede von Herbert Kickl, Verlierer-Ampel flüchtet feige vor Verantwortung, Impfopfer spricht Klartext, Sensationell! FPÖ sprengt alle Fesseln des Systems usw . . . Das Motto: Wir zeigen, was andere verschweigen. Da kann sich Herbert Kickl getrost für zwei Monate in die Bergwelt begeben und aus der Öffentlichkeit verschwinden – er ist dennoch per FPÖ-TV präsent. Natürlich bekommen dort die Interviewten beinharte Fragen. Ein Beispiel vom Sommer. Da sitzt der Vorarlberger Abgeordnete Thomas Spalt, Umweltsprecher der Partei, einer perfekt gestylten Moderatorin gegenüber, Thema sind die Pfandflaschen. Frage: „Kennen Sie irgendwen, der mit dem Zwangssystem in Sachen Flaschenpfand zufrieden ist, das sich als bürokratisches Monster entpuppt, mit langen Wartezeiten an den Automaten und Flaschenbergen zuhause?“ Spalt bedankt sich artig für die Frage, die vielen Menschen aus der Seele spreche. Dann bleibt ihm nur noch übrig, das von der Moderatorin Gesagte 1:1 zu wiederholen. Wie sehen die Fakten tatsächlich aus: Seit Jänner (Einführung des Pfands) wurden über 357 Millionen Gebinde retourniert, täglich zwischen sieben und neun Millionen Stück. Ziel für 2025: 80 Prozent Rücklaufquote. Drei Viertel der Konsumenten befürworten das neue System, das offenbar effizient funktioniert. Nur nicht im FPÖ-TV, das nicht nur hier faktenbefreit agiert.
SPÖ-Klubobmann Philip Kucher hat es im Nationalrat einmal auf den Punkt gebracht: „In der wunderbaren Welt des Herbert Kickl gibt es außer FPÖ-TV keine Medien mehr. Keinen Journalismus, der den armen Herbert mit so etwas wie Fakten plagt. Die ‚kritischen Fragen‘ reichen von ‚Was ist das Geheimnis deines Erfolgs, Herbert‘ bis ‚Die FPÖ braucht nicht Angst haben vor den anderen Parteien, oder?‘” Jetzt hat die SPÖ ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Partei und ihr Medienminister (!) Babler machen genau das, was Kucher kritisiert hat. Oder wird es in SPÖ1 im Gegensatz zu FPÖ-TV beinharte Fragen an Andreas Babler geben? Zum Beispiel, warum die Partei unter seiner Führung trotz Regierungsbeteiligung nicht vom Fleck kommt? Oder Zitate aus dem jüngsten „Heute“-Interview des Partei-Kritikers Doskozil zu dessen Kritik an der Migrationspolitik? Doskozil sagt, dass die SPÖ die Debatte über Veränderungen den anderen überlasse „aus Angst vor linksromantischen Träumern, die dann aufschreien.” Er nennt das “ein gutes Beispiel, warum wir jetzt dort herumdümpeln, wo wir herumdümpeln.” Wird Doskozil das auch auf SPÖ1 sagen dürfen? Wahrscheinlicher ist, dass das ausgeweitet wird, was der Medienberater Peter Plaickner (in der „Presse“) als demokratiepolitisch gefährlichen Trend bezeichnet hat, weil Parteimedien wie SPÖ1 das klare Ziel verfolgen, journalistische Filter und kritische Fragen auszuschalten.
Wolfgang Burtscher, Journalist und ehemaliger ORF-Landesdirektor, lebt in Feldkirch.
Kommentar