Kommentar: Gottesstaat?

VN / 06.10.2025 • 15:00 Uhr
Kommentar: Gottesstaat?

Als kürzlich ein österreichisches Gericht entschied, dass eine von einem privaten Schiedsgericht nach islamischem Recht gefällte Entscheidung vollsteckbar sei, weil sie österreichischem Recht nicht widerspreche, gingen die Wogen hoch. Dabei wird übersehen, dass das Gericht für die Anwendung der Scharia klare Grenzen gezogen hat und es auch in anderen Bereichen eine Art Parallelrechtsordnung gibt. So wenden beispielsweise Sportverbände eigene Vorschriften für die einem Berufsverbot gleichenden Sperren von Sportlern an und auch die Kirche hat eine eigene Rechtsordnung. Sie widerspricht sogar hinsichtlich des Ausschlusses von Frauen vom Priesteramt unserer Bundesverfassung, die sich zur Gleichstellung von Mann und Frau bekennt.

In den vorwiegend arabischen Staaten mit einer islamisch geprägten Rechtsordnung lässt sich gut beobachten, wohin diese Form eines Gottesstaates führt. Neuerdings werden in Afghanistan sogar von Frauen verfasste Fachbücher von den Universitäten verbannt. Diesen Herrschaftsanspruch einer Religion gab es im Mittelalter allerdings auch bei uns und noch unter den Habsburgern galt das Bündnis von Thron und Altar als Staatsraison, der Kaiser sah sich als von Gottes Gnaden eingesetzt.

Die Reaktionen auf die Ermordung des Trump-Aktivisten Charlie Kirk in den USA haben sichtbar gemacht, welche radikalen Kräfte dort – hierzulande lange unbemerkt geblieben – in den christlichen Religionsgemeinschaften am Werk sind. Kirk wird, weil auf der richtigen Seite stehend, als „Märtyrer der Wahrheit“ gesehen und sogar für eine Heiligsprechung in Stellung gebracht. Dabei fällt unter den Tisch, wie fanatisch er als ausgesprochener Rassist gegen die von Martin Luther King erkämpften Bürgerrechte, gegen Ausländer, Homosexuelle und Randgruppen der Gesellschaft agitierte. Im Gegensatz zur Witwe Kirks, die aus dem Evangelium Vergebung und Liebe ableitete, betonte Trump höchstpersönlich, seine Gegner zu hassen. Von einem selbsternannten Werkzeug Gottes hätte man sich eigentlich etwas anderes erwartet. Zu diesen Widersprüchen passt gut dazu, dass Trump im Weißen Haus sogar ein Glaubensbüro eingerichtet hat. Angesichts der tiefen Spaltung der amerikanischen Katholiken verwundert es auch nicht, dass mit Timothy Dolan sogar ein Kardinal den ermordeten Kirk als modernen Apostel Paulus sah – in der Kirche leider weitgehend unwidersprochen geblieben.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich in Wien die FPÖ als neue Glaube-Liebe-Hoffnung-Partei dafür stark macht, für den ermordeten ultrarechten amerikanischen Aktivisten ein Denkmal zu errichten – und zwar ausgerechnet am Platz der Menschenrechte. Mehr Widerspruch in sich selbst ist eigentlich kaum möglich.

Jürgen Weiss vertrat das Land als Mitglied des Bundesrates (ÖVP) zwanzig Jahre lang in Wien und gehörte von 1991 bis 1994 der Bundesregierung an.