Kommentar: Kirche unter Druck

Politik / 17.10.2025 • 17:30 Uhr
Kommentar: Kirche unter Druck

Die gute Nachricht für die Katholische Kirche in Österreich: Wien hat einen Erzbischof. Josef Grünwidl übernimmt die Leitung definitiv. Schon seitdem sich Kardinal Christoph Schönborn (80) im Jänner zurückgezogen hat, hat der 62-Jährige das interimistisch getan. Erfreulich wirkt, dass er ein Mann der Seelsorge ist, der Menschen mit ihren Freuden, vor allem aber auch Sorgen und Nöten nahe ist und gerade deshalb geschätzt wird.

Als großen Theologen betrachtet er sich nicht. Was kein Widerspruch ist. Wobei man vorsichtig sein sollte: Dass er sich bisher zum Beispiel gegen den Pflichtzölibat ausgesprochen hat, ist bemerkenswert. Wie er in seiner neuen Rolle damit umgeht, muss sich aber erst weisen.

Die schlechte Nachricht ist, wie lange sich der Vatikan mit der Schönborn-Nachfolge Zeit gelassen hat. Es ist unglaublich, auch wenn man berücksichtigt, dass in den neun Monaten ein Pontifikat zu Ende gegangen ist (jenes des im April verstorbenen Franziskus) und erst ein neues beginnen musste (jenes von Leo XIV.).

Der Erzbischof von Wien ist de facto das Oberhaupt der Kirche hierzulande. Ob er nun Kardinal ist oder nicht, ob er Vorsitzender der österreichischen Bischofskonferenz ist oder nicht. Und die Situation dieser Kirche ist „voller Herausforderungen“, wie es Grünwidl formuliert. Sprich: Sie braucht Führung.

Erstmals in der Geschichte gibt es vom Boden- bis zum Neusiedlersee weniger als 50 Prozent Katholiken gemessen an der Gesamtbevölkerung. Das steht für eine Zäsur: Aus einer Mehrheit wird eine Minderheit.

Mit einem „Bevölkerungsaustausch“, den rechtsextreme Verschwörungstheoretiker sehen, hat das nichts zu tun. Eine Erklärung dafür ist, dass es sehr viele Kirchenaustritte gibt. Allein durch sie schrumpft die katholische Kirche wesentlich stärker als etwa die Zahl der Muslime wächst.

Ein Problem auch aus Sicht der Kirche ist, was damit einhergeht: Je mehr Menschen sich von ihr abwenden, desto größer wird ein Feld, auf dem sich politische Bewegungen pseudo-religiös betätigen und auch erfolgreich sind damit. Siehe FPÖ nach Ausrichtung von Herbert Kickl, der sich als Erlöser darstellt und jüngst unter Bezugnahme auf den Apostel Paulus bzw. den 1. Korintherbrief die Parole „Glaube, Hoffnung und Liebe“ ausgegeben hat. Und zwar vor allem auch, um sich abzugrenzen bzw. gegen andere zu stellen. Insbesondere gegen Muslime.

Gegen Muslime: Die Evangelische Kirche geht davon aus, dass es auch Teilen der Regierung darum geht, mit dem Kopftuchverbot ein entsprechendes Signal zu setzen. Dass nicht die Selbstbestimmtheit von Mädchen das zentrale Motiv ist, sondern das. Die Evangelische Kirche findet das auch alarmierend, weil es sich gegen eine Minderheit richtet, wie sie selbst eine ist. Auch wenn man das Kopftuchverbot sehr gut begründen hat, hat das was.

Und es verdeutlicht, worauf sich Josef Grünwidl gefasst machen muss: Er hat eine wichtige Funktion in einer Kirche, die kleiner wird, aber immer stärker werden muss, um sich in religiösen Fragen, die sie betreffen, behaupten zu können.