Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Acht nehmen. Einer geht.

Politik / 14.11.2025 • 15:24 Uhr

Harald Mahrer ist weg. Zurückgetreten. Abgetreten. Ablenktritt. Und siehe da – das System atmet auf. Nicht, weil es sich schämt. Sondern, weil es sich seiner sicher ist.

Denn was da in den vergangenen Wochen an Licht in die Dunkelkammer der Wirtschaftskammer fiel, beleuchtet nicht einen Mann, sondern eine ganze Seilschaft im Maßgewand. Acht von neun Präsidenten und Präsidentinnen der Landeskammern sind auch Landesobleute des ÖVP-Wirtschaftsbundes. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, wie eine 60-prozentige Gehaltserhöhung. Nur in Vorarlberg, wo der letzte Doppelfunktionär über einen Finanzskandal gestolpert ist, trennt man Kammer und Partei. Im Rest der Republik? Business as usual, bloß mit mehr Geld.

Mahrer selbst, der Phrasenkünstler mit bunten Kniestrümpfen im Smart-Casual-Sakko, kam zuletzt auf 15.158 Euro monatlich aus der Kammer, 88.000 Euro jährlich von der Nationalbank, dazu ein Gehaltszipferl aus dem Wirtschaftsbund. Sein Verteidigungsmotto bei der Nationalbank schon fast dämlich: „Das ist kein politischer Job.“ Patziger Nachsatz: „Dort ist für meinen Bezug der Finanzminister zuständig.“ Worte wie aus der Sammlung „Die besten Ausflüchte 2025“. Er hätte auch sagen können: „Was interessiert mich mein Gehalt von gestern?“

Und doch liegt die eigentliche Pointe tiefer. Denn während sich Mahrer zur symbolischen Verantwortung aufrafft (aufgerafft wird), sitzen die wahren Profiteure fest im Sattel – sehr weit weg von der 4,2 Prozent-„Misskommunikation“ (die ich persönlich gerade noch durchgehen ließe). Es sind die Entschädigungen der Präsidenten, die fast überall in schamloser Weise steigen: Steiermark und Burgenland plus 55 Prozent, Niederösterreich plus 51, Salzburg und Tirol plus 49, Oberösterreich plus 41, Wien plus 21, Mahrer selbst plus 21. Nur Kärnten und Vorarlberg blieben diesmal stehen (der Vorarlberger Karlheinz Kopf bekam eine turnusmäßige Valorisierung im Ausmaß von 4,3 Prozent, die bei den – angeblich allen – anderen ausblieb, da sie bereits an einer internen Obergrenze angelangt waren). Ein Treppenwitz, dass ausgerechnet die solcherart reich beschenkten Präsidentinnen von Tirol und Oberösterreich Mahrer für die Schenkungen vorneweg heftig kritisierten.

All das zur Unzeit. In einer Phase, in der Unternehmer mit Lohnzurückhaltung, Beitragsdruck und Bürokratie kämpfen. Die Kammerspitze predigt „Verantwortung“, „Zurückhaltung“, „Solidarität“. Praktiziert wird: „Mehr für uns, weniger für euch.“ Immerhin sei das ja nur eine „Systemharmonisierung“. Man habe eben „angleichen“ müssen – nach oben natürlich. Eine Harmonisierung nach unten wäre vermutlich unmelodisch gewesen.

Es ist ein ÖVP-Skandal. Acht Landespräsidenten und Mahrer selbst sind auch Obleute im Wirtschaftsbund. Der Wirtschaftsbund, neben Bauernbund und ÖAAB eine der drei tragenden Säulen der Volkspartei, wird aus der Kammerkasse üppig mitfinanziert. Man spricht von rund 15 Millionen Euro pro Jahr. Da zahlt die Mitgliedschaft nicht nur Zwangsbeiträge, sondern gleich noch die Parteiorganisation mit. Warum kompliziert, wenn es so legal ist?

Jetzt also der Rücktritt Mahrers. Ein Bauernopfer, das sein Schachbrett verlässt, weil alle anderen Figuren in Sicherheit sind. Denn kein einziger der sieben beschenkten Landespräsidenten hat auch nur angedeutet, dass man sich schämen oder – Gott bewahre – verzichten könnte. Rücktritt? „Systematisch nicht vorgesehen.“ Scham? „Leider kein Budgetposten.“ Vielleicht wird auch noch einer der neun Mahrers Nachfolger nach der Interimspräsidentin.

Der eigentliche Skandal: dass sich sieben föderal verortete Kammer-Obleute und ÖVP-Funktionäre bedienten; dass sie das als normal empfinden. Haltet den Dieb! Willkommen in der Volkspartei und Wirtschaftskammer!