Verdreifacht. Verdoppelt. Verrechnet. Die Kammerarithmetik

Politik / 07.11.2025 • 14:42 Uhr
Verdreifacht. Verdoppelt. Verrechnet. Die Kammerarithmetik

Es gehört zu den zuverlässigsten Reflexen der österreichischen Machtapparate, dass sie sich selbst als Opfer äußeren Zwanges inszenieren, während sie im Inneren sehr genau wissen, wie die Dinge laufen. Die Wirtschaftskammer, dieses Pflichtbeitragsinkasso mit angeschlossener Repräsentationsfolklore, beherrscht jene Kunst wie kaum jemand sonst. Man wolle bloß “die Interessen der Unternehmen vertreten”, sagt Präsident Harald Mahrer mit dem Gesichtsausdruck eines Mannes, der sich nicht vorstellen kann, wie irgendwer daran zweifeln könnte. Nur leider stolpert er gerade täglich über seine eigenen Schuhe.

Da wäre zunächst die Gehaltserhöhung von 4,2 Prozent für die Kammer-Beschäftigten. Mit Pathos angekündigt, dann “zurückgenommen” – freilich nur in jener Form, die es erlaubt, später still und elegant doch die volle Erhöhung zur Basis zu machen. Halb jetzt, ganz später – Buchhaltungsalchemie, wie man sie in Wien seit dem Fin de Siècle pflegt. Man spart nicht, man verschiebt. Das Ergebnis ist dasselbe: Die Pflichtbeitragszahler blechen.

Dass derselbe Harald Mahrer gleichzeitig Präsident der Wirtschaftskammer und Präsident der Nationalbank ist – und damit in Summe ein Einkommen bezieht, das näher bei einem Oligarchen als bei einem öffentlichen Diener liegt – fällt ihm erst dann unangenehm auf, als der Rechnungshof den Kopf hebt. Ob das verfassungskonform sei, müsse “geprüft werden”. Die Antwort liegt längst im Raum. Nur sagt sie niemand laut, weil man sich in Österreich beim Entfernen mächtiger Männer traditionell schwertut.

Zur Erinnerung: Mahrer war einmal Wirtschaftsminister unter Sebastian Kurz. Damals wurde die Arbeitsteilung perfektioniert: Die Politik liefert den Schein privater Dynamik, die Verbände liefern den Einfluss, und die Öffentlichkeit applaudiert – oder besser, sie soll es tun. Heute wirkt es wie das Nachglühen eines Systems, das sich selbst nicht mehr erklären kann. Franz Schellhorn verglich beim Wirtschaftsforum der “VN” vergangene Woche in Bregenz die Gebarung der Kammer wider die Gewaltentrennung mit der Aushebelung der Demokratie durch Donald Trump. Ich widerspreche, aber ich widerspreche keineswegs empört.

Und dann diese Episode aus Niederösterreich, die an Realsatire grenzt. Dort haben sich die Berufsvertreter von Astrologen, Energetikern, Tierkommunikatoren, Typ- und Farbberaterinnen ihre Funktionsentschädigungen nahezu verdoppelt. Auf Kosten jener kleinen Unternehmen, die Pflichtbeiträge zahlen. Die kosmische Schwingung ist offenbar teurer geworden. Und die Sterne standen günstig. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Als Krönung dann ein Inserat der Wirtschaftskammer Wien: Seit dem EU-Beitritt hätten sich die Exporte “verdreifacht”. Von 7,5 auf 20,8 Milliarden Euro. Nur: Die Inflation seither beträgt rund 93 Prozent. Real blieb von der “Verdreifachung” ungefähr so viel übrig, wie von der Seriosität astrologischer Berufsverbände. Man könnte sagen: Fake News. Man könnte auch sagen: eine Lüge mit Budget.

Vor langer Zeit war ich militant gegen die Pflichtmitgliedschaft in dieser Einrichtung. Ich habe mich beruhigt. Ich habe mich abgefunden. Aber in Wochen wie dieser spüre ich das alte Ziehen wieder: gegen ein System, das mit Zwangsbeiträgen finanziert wird und keine Scham, keine Einsicht, kein Verantwortungsgefühl besitzt.

Ob jemand zurücktritt? Natürlich nicht. Wir sind ja in Österreich. Hier tritt man erst zurück, wenn die Sterne es ausdrücklich verlangen.