Peter Bußjäger

Kommentar

Peter Bußjäger

Kommentar: Wahrheitsministerium

Politik / 21.11.2025 • 08:36 Uhr

In George Orwells 1948 geschriebenem berühmten düsteren Zukunftsroman „1984“ gibt es eine Reihe von Schreckensvisionen, denen die heutige Wirklichkeit auch in unseren Demokratien verblüffend nahekommt: Von den staatlichen Überwachungsmöglichkeiten, die bei uns zwar nicht alle ausgeschöpft werden dürfen, von denen aber niemand genau weiß, ob sie nicht doch zum Einsatz gelangen, bis hin zu diversen seltsamen Sprachregelungen, welche die Wirklichkeit verschleiern sollen.

Im Roman gibt es ein Wahrheitsministerium, das die Menschen manipuliert und die Unwahrheit als Wahrheit verkauft. Der Bundesregierung ist nun eingefallen, das Gesetzespaket, das den Strommarkt in Österreich neu aufstellen soll, als „Günstiger-Strom-Gesetz“ zu bezeichnen. Welcher PR-Berater hat unserem Wahrheitsministerium eingeredet, diese Bezeichnung zu wählen? Das Gesetz wird den günstigen Strom nicht garantieren können, es gibt allenfalls ein paar Abfederungen für sozial schwache Menschen. Die große Mehrheit der Bevölkerung und die Wirtschaft werden auch in Zukunft von den Zufälligkeiten des internationalen Strommarktes abhängig sein.

Das Wahrheitsministerium sollte die Bevölkerung nicht für dumm verkaufen. Es gibt nämlich auch Unterschiede gegenüber „1984“: Die Menschen mögen Manipulationen ausgesetzt sein, aber sie glauben ohnehin nicht, was ihnen die Regierung erzählt, weil sie längst kein Vertrauen mehr haben. Daher verpufft die Wirkung von beschönigenden und verzerrenden Sprachregelungen. Eine Regierung sollte den Menschen die Wahrheit sagen und nicht wie ein vor der Pleite stehender Unternehmer den Kunden immer abenteuerlichere Versprechungen machen. Das gilt auch für den Bürokratieabbau. Staatssekretär Schellhorn will eine Liste von 160 Entbürokratisierungsvorschlägen erstellt haben, welche die Wirtschaft entlasten sollen. Öffentlich zugänglich ist die Liste nicht.  Vielleicht existiert sie auch gar nicht und das Wahrheitsministerium redet nur davon?

Peter Bußjäger ist Direktor des ­Instituts für Föderalismus und ­Universitätsprofessor in Innsbruck.