Das große VN-Interview zum ersten Jahr schwarz-blau: “Ein bisschen weniger Hysterie wäre nicht schlecht!”

Markus Wallner und Christof Bitschi stellen im Interview die eigene Rechtsträgerschaft des Spitals Dornbirn in Frage, fordern die Sozialinstitutionen zur Ruhe auf und erklären, was sie aus der Führerschein-Causa gelernt haben.
Interview: Isabel Russ & Michael Prock
Bregenz Markus Wallner mit der ÖVP und Christof Bitschi mit der FPÖ haben ihr erstes gemeinsames Jahr als Regierungspartner hinter sich gebracht. Im VN-Interview blicken der Landeshauptmann und der Landesstatthalter auf die großen Themen des ersten Jahres. Sie sprechen etwa über die Spitalsreform und weshalb es aus Sicht des Landes besser wäre, wenn das Dornbirner Spital ebenfalls zur KHBG wandert. Außerdem blicken sie noch einmal auf die Führerschein-Causa zurück und fordern die Sozialinstitutionen auf, nicht so hysterisch zu sein. Und sie schildern ihre Vorhaben in Sachen Bürokratieabbau. Die Raumplanungsagenden sollen zum Beispiel wieder stärker in Gemeindehände gegeben werden.
Herr Wallner, haben Sie schon einmal eine finanziell und politisch so angespannte Phase erlebt?
Wallner Ich habe schon viele intensive Phasen erlebt, auch schon intensivere. Eigentlich scheinen die Herausforderungen immer zu Beginn einer Periode groß zu sein. Ich kann mich an die große Flüchtlingskrise erinnern. Dann Corona, so etwas hatten wir noch nie erlebt. Und jetzt die längste Phase der Rezession, das kannte ich bisher auch nicht.
Herr Bitschi, Sie wollten Vorarlberg wieder auf Kurs bringen. Sind wir schon näher am Kurs?
Bitschi Wir sind sicher deutlich näher am Kurs. Die erste Herausforderung ist es, die budgetäre Situation in den Griff zu bekommen. Am zweiten Tag der Koalitionsverhandlungen hat mich der Landeshauptmann mitgenommen und mir das Budget gezeigt. Das war taktisch relativ klug, vor allem was unsere Forderungen betroffen hat. Es gab auch Zurufe in der Partei, die meinten, dass wir noch einmal fünf Jahre warten sollen, danach würde es für uns noch besser aussehen. Aber wir haben Verantwortung übernommen und jetzt die Trendwende im Budget geschafft.
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Auch kommendes Jahr haben Sie 200 Millionen Euro Darlehen budgetiert. Das sieht nicht nach Trendwende aus.
Bitschi Wenn man sich die Entwicklungen der letzten Jahre anschaut, ist es definitiv eine Trendwende.
Wallner Man muss dem gegenüberstellen, dass wir wachsendes Vermögen haben. Wir verbessern die Reserven, schaffen es aufgrund der Kriseneinschläge aber nicht, Einnahmen und Ausgaben auszugleichen. Wir unterziehen uns einem harten ausgabenseitigen Sparkurs, mit dem Ziel, wieder auf ein Nulldefizit zu kommen.
Das erste Jahr war von vielen Aufregern geprägt, dazu zählt sicherlich die Spitalsreform. Es gab Demonstrationen, eine große Petition und kürzlich sagten 67 Prozent der Spitalsärzte, dass die Reform schlecht ist. Was ist da schiefgelaufen?
Wallner Es ist eine Veränderung. Und eine Veränderung erfordert doppelte und dreifache Überzeugungsarbeit. Wir müssen erklären, warum wir das tun und welche Vorteile Vorarlbergerinnen und Vorarlberger damit haben. Wir wollen eine gute flächendeckende Spitalsversorgung im Land, müssen aber Verständnis dafür wecken, dass man Doppelgleisigkeiten in kurzen Distanzen abbauen muss. Von Altach aus erreiche ich in maximal 30 Minuten sieben Spitäler. Das wird man in ganz Europa nicht finden.
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Immer wieder hört man Kritik, dass unklar ist, wohin die Reise geht. Wie wird der Weg bis 2050 weitergehen?
Wallner Es geht immer mehr in Richtung spezialisierte Zentren. Die Schwerpunktbildung wird sich fortsetzen. Wir gehen diesen Weg ja schon seit vielen Jahren. In Bregenz gab es einmal das Unfallkrankenhaus Böckle, das gibt es heute nicht mehr. Hohenems war früher ein ganz anderes Spital als jetzt. Und in Bludenz mit der Zusammenarbeit mit Feldkirch sowieso. Es wird ein großes Schwerpunktkrankenhaus in Feldkirch geben, wo man sich auf Spitzenmedizin konzentriert. Im Unterland wird es eine Verbundlösung von Bregenz, Dornbirn und Hohenems geben. Diese Angebote müssen aufeinander abgestimmt werden.
Also wird es 2050 noch alle Standorte geben?
Wallner Das glaube ich schon, allerdings mit veränderten Angeboten.
Bitschi Was zukünftige Koalitionen entscheiden werden, steht in den Sternen. Aber für diese Koalition ist klar, dass die Standorte erhalten werden müssen. Darum ist diese Reform auch so wichtig.
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Ist das doch wieder eine Standortgarantie, die Gesundheitslandesrätin Martina Rüscher dezidiert zurückgenommen hat?
Wallner Es wird faktisch so sein, dass wir alle Standorte benötigen werden. Was wünschenswert wäre, wäre aber eine Struktur mit einer Rechtsträgerschaft. Dass man die Fächer im Unterland noch besser aufeinander abstimmen kann, wie im Oberland.
Also auch Dornbirn zur KHBG?
Wallner Im besten Fall wäre es so. Es wäre besser, wenn eine Verbundlösung mit drei Standorten aus einer Hand gemacht wird. Wir müssen die drei Standorte abstimmen. Das ginge mit einer Rechtsträgergesellschaft besser.

Ein weiterer großer Aufreger in Ihrem ersten Jahr war die Führerschein-Causa. Hätte der Oppositionspolitiker Bitschi den Landesstatthalter Bitschi deswegen zum Rücktritt aufgefordert?
Bitschi Wir haben damals rasch gehandelt. Es ging darum, die Situation so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen, während andere darüber diskutiert haben, wer wofür zuständig ist. Mitte Oktober konnten wir feststellen, dass es keinen Rückstau an Prüfungen mehr gibt. Ich hatte wenig Zeit, mich in meinem Kopf mit einem Oppositionspolitiker Bitschi zu unterhalten, was er gemacht hätte.
Welche Lehren hat man daraus gezogen?
Bitschi Wir haben etwa darüber diskutiert, dass die Fahrschulaufsicht in anderen Bundesländern nicht in der Verkehrsabteilung sondern in den Bezirkshauptmannschaften angesiedelt ist. Dazu gibt es aktuell Prüfungen bei uns.
Wallner Vor allem ist wichtig, dass die jungen Leute zu einer schnellen Fahrprüfung kommen und es eine vernünftige Durchfallsquote gibt. Da ist eine Normalisierung eingetreten. Eine Sache, die ich mitgenommen habe, ist das Gold-Plating im Verwaltungsvollzug. Wenn wir einen Spielraum in der Verwaltung haben, ist er zugunsten der Bürger anzuwenden, nicht zulasten. Das haben wir auch intern thematisiert.
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War das in diesem Fall so?
Wallner Bei den Prüfungen eine derart intensive Strenge anzuwenden, deutlich strenger als im Österreichschnitt, ist nicht nachvollziehbar. Stattdessen sollte man im Vollzug gesetzeskonform aber vernünftig und nahe am Bürger sein. Im Zweifel für die Bürger.
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Da hat sich niemand persönlich bereichert, sondern da wurde einfach ein Gesetz strenger ausgelegt?
Bitschi Die Staatsanwaltschaft hat geprüft und keinen Anfangsverdacht festgestellt. Und wenn die Staatsanwaltschaft keinen Anfangsverdacht feststellt, ist für uns die Interpretation klar: Da hat es einen Kreis von Prüfern gegeben, die das Handbuch sehr streng ausgelegt haben. Jetzt haben wir andere Prüfer und die Durchfallsquote geht zurück.

Man soll also so locker sein, wie es gesetzlich möglich ist?
Wallner Bei jedem Gesetz gibt es im Vollzug eine Bandbreite, die man nutzen kann. Das ist keine Willkür. Manchmal stelle ich fest, dass man auch aus Angst vor Klagen und vor der Öffentlichkeit im Vollzug sehr streng sein kann. Das brauchen wir am Standort nicht. Ich brauche keinen Prüfer, der sich einbildet, mit der Prüfung über Wohl und Wehe eines ganzen Lebens zu entscheiden. Eine Gruppe von Prüfern hat übertriebene Härte angewendet und zu Lasten der Schüler agiert.
Auch Sozialpolitik ist in Ihrem ersten Jahr ein großes Thema gewesen. Das Kinderdorf muss 900.000 Euro sparen. Sie haben über Kürzungen bei Assistenzstunden an Schulen diskutiert. Die Lebenshilfe hat die Betreuung in den Herbstferien einstellen müssen. Steht der Sparkurs über dem Ziel, chancenreichstes Land für Kinder zu werden?
Wallner Nein, sicher nicht. Selbst in finanziell schwierigen Zeiten darf man dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren. Die Sparmaßnahmen sind aber notwendig. Wenn man das Gesamtbudget des Sozialfonds näher betrachtet, kommt man nicht auf die Idee, dass wir Sozialabbau betreiben würden. Aber man muss hinterfragen, was doppelt angeboten wird und wo es Möglichkeiten in der Verwaltungsstruktur gibt.
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Und trotzdem sagt das Kinderdorf, dass 900.000 Euro gespart werden müssen.
Wallner Wir haben die Sozialeinrichtungen eingeladen, über die Normtarife zu diskutieren. Prinzipiell sagen wir: Für die gleiche Leistung gibt es den gleichen Tarif. Wir versuchen in einen konstruktiven Dialog zu kommen, verlangen aber eine Begründung dafür, wenn jemand über dem Normtarif liegt. Da gibt es sicher auch gute Gründe. Wir brauchen vollständige Transparenz und wollen faire Tarife auf beiden Seiten. Da muss man nicht gleich die Nerven wegschmeißen. Wir müssen wieder lernen, einen gesunden öffentlichen Diskurs zu führen. Die permanente Aufregung hat wenig Sinn.
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Das heißt, die Sozialinstitutionen sollen nicht so hysterisch sein?
Wallner Hysterie ist in einer Diskussion sowieso nie angebracht, sondern klare Transparenz. Der Diskurs muss stattfinden, wir dürfen aber nicht von einer Aufregung in die nächste kippen. Mit den Sozialinstitutionen war immer ein Dialog möglich. In guten Zeiten ist es einfach, der Dialog sollte auch in schwierigen Zeiten möglich sein. Ein bisschen weniger Hysterie wäre nicht schlecht.
Bitschi Was ist schlecht an einem Normtarif? In der Vergangenheit war es alles andere als fair, zu sagen, für die gleiche Leistung gibt es unterschiedliche Abrechnungsmodelle. Und es ist wichtig, dass die Landesregierung wieder eine starke Steuerungsfunktion übernimmt.

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Sie beide versprachen im Wahlkampf, Bürokratie abzubauen. Können Sie uns schon ein konkretes Beispiel nennen?
Bitschi Wir konnten die Stelle für Bürokratieabbau einrichten, sie kann zeitnah die Arbeit aufnehmen. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Stelle ausgelastet sein wird. Auf Bundesebene kann man beim Staatssekretär für Bürokratieabbau erkennen, wie es nicht laufen soll. Wir brauchen keine große Show und keinen Robin Hood, der die ganze Welt retten will. In meinem Ressort sind wir aktuell dran, das Straßengesetz mit den anderen Bundesländern zu vergleichen und sehen jetzt schon, dass es Strukturen gibt, die es in den anderen Ländern nicht gibt.
Wallner Wir haben eine große Digitalisierungsnovelle hinter uns. Darüber wird nicht viel gesprochen, sie ist für die Verwaltung aber eine Weichenstellung. Eine Novelle, die wir in Vorbereitung haben, ist die Raumplanung. Wir wollen die Verantwortung wieder dorthin geben, wo sie hingehört.
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Also Richtung Gemeinden?
Wallner Die Verantwortung der Gemeinden in diesem Bereich wollen wir wieder stärken. Das Land muss nicht über jeden Quadratzentimeter Flächenwidmung entscheiden. Die aufsichtsbehördlichen Aufgaben der Raumplanungsabteilung sind viel zu bürokratisch, viel zu überschießend, das Gesetz ist überbordend. Es wird Zeit für eine Kurskorrektur. An dem Beispiel sieht man, dass es nicht für jedes Thema eine Kontrolle, ein Gesetz, eine Strafe geben kann, und dutzende Beamte dafür abgestellt werden. Weniger Bürokratie bedeutet mehr Eigenverantwortung. Dann hat man da und dort etwas weniger Kontrolle, aber wir können die Verwaltungsorgane nicht zu Aufsichtsorganen aufblähen.

Noch eine kurze Frage aufgrund einer aktuellen Diskussion: Soll die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer abgeschafft werden?
Wallner Ich war immer der Meinung, dass es diesen Interessenausgleich braucht und die Pflichtmitgliedschaft mit vernünftigen Beiträgen das bessere Modell ist.
Bitschi Am Beispiel der Industriellenvereinigung sieht man, dass es keine Pflichtmitgliedschaft braucht, um gute Arbeit zu leisten.
Welche Leuchtturmprojekte möchten Sie 2026 umsetzen?
Bitschi Mein Leuchtturm ist ein Tunnel. Der Stadttunnel ist als Entlastungsprojekt für die ganze Region wichtig. Wir hatten eine schwierige Phase über den Sommer, aber mittlerweile hat ein Großteil der Vorarlberger, ausgenommen ein paar Radikalgegner, eingesehen, dass es diesen Tunnel braucht. Das Zweite ist der Familienbonus in Vorarlberg. Wir kämpfen mit aller Kraft für die budgetären Spielräume, um diesen Bonus umzusetzen.
Wallner Wir müssen die Wirtschaft ankurbeln und das Budget konsolidieren. Und ich hoffe, dass 2026 das Jahr wird, in dem wir in die großen Verfahren der großen Projekte starten. Es wäre eine echte Weichenstellung, wenn wir das UVP-Verfahren für Rhesi einleiten könnten. Das Verfahren für das Lünerseewerk soll weitergehen. Und wir hoffen, dass bei der S 18 im Bund etwas weitergeht.
Spielt Klimaschutz keine Rolle mehr?
Wallner Klimaschutz spielt eine große Rolle, vor allem was die Energiefrage betrifft. Mit dem Lünerseewerk werden wir einen großen Beitrag zur Energiesicherheit in Europa leisten.