Christian Rainer

Kommentar

Christian Rainer

Im Formalin der Mitte

Politik / 05.12.2025 • 09:30 Uhr

Österreich sitzt in einer Art Krisenhalbtraum. Die Wirtschaft schwächelt, aber sie stürzt nicht. Es ist kein Crash, eher ein Dauerflimmern, ein Wohlstandsflattern, ein Zukunftszittern. Man lebt weiter, nur ein wenig kleiner, ein wenig ängstlicher, und nennt das dann “Abkühlung”, als wäre das Ganze ein Wellnessprogramm und nicht eine schleichende Zukunftsschrumpfung, ein leises Gegenwartsverblassen.

Parallel dazu hat sich die Politik in eine Verwaltungsrepublik verwandelt. Christian Stocker führt die ÖVP wie ein Pflichtheft: ordentlich, unauffällig, konfliktarm. Er ist der Obmann einer Resignationspartei, die nur noch versucht, das Gestern zu konservieren – im Formalin der Mitte. Das ist funktionstüchtig, aber seelenentkernt. Österreich bekommt Verwaltung, wo es Erzählung bräuchte, Protokoll, wo Richtung nötig wäre.

Andreas Babler wiederum ist das Gegenteil: laut, bewegt, mit der Pose des Aufrüttelns. Aber innen zerspalten. Ein Vorsitzender, dessen größte Opposition im eigenen Maschinenraum sitzt und jede seiner Bewegungen in Misstrauensmikroskopie zerlegt. Die SPÖ ringt mit sich selbst wie ein historischer Roman, der nicht weiß, ob er Tragödie oder Sozialromantik sein will. Man hört viel Pathos, aber wenig Zukunftstaugliches.

Die Neos haben sich in eine Art Globalisierungsloft zurückgezogen: sehr international, sehr vernünftig, sehr korrekt – ein Thinktank mit Parteistatut. Dort schreibt man Positionspapiere, die im Ausland Applaus finden würden, im Inland aber eher als Begleitmusik zu Podiumsdiskussionen taugen. Es riecht nach Konferenzsaal, nicht nach Wahlkabine. Die Partei wirkt wie eine gut gemeinte Fußnote zum politischen Haupttext, nicht wie dessen Autorin.

Gemeinsam ergibt das eine seltsam österreichische Konstruktion: drei Formationen, die in ihren jeweiligen Blasen funktionieren, aber zusammen keine Mehrheit der Imagination zustande bringen. Imaginationsermüdung, Demokratieerschöpfung, Zukunftserschlaffung – nennen Sie es, wie Sie wollen. In diese Erzählungslücke marschiert die FPÖ mit ihrer simplen Wutpoesie. Sie bietet das, was die anderen verlernt haben: eine klare, wenn auch brandgefährliche Geschichte. Oft falsch, gerne rassistisch, im Zweifel autoritär – aber eben eine Geschichte.

Über allem schwebt das Phantomwunder Kurz. Die immer gleichen Gerüchte, die halblauten Zitate: Er würde nur wiederkommen, wenn die Nummer eins garantiert ist, soll er gesagt haben. Und, so erzählen mir Insider, er habe tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, ausgerechnet gemeinsam mit einem starken Christian Kern eine türkis-rote Absolutmehrheitsdemokratie zu inszenieren. Heute sind Kern, Kurz und absolute Mehrheiten freilich Geisterbahnfiguren der Republik, nur die Sehnsucht nach der nächsten Wunderfigur ist real geblieben.

Die eigentliche Krise dieses Landes ist deshalb keine blaue, keine rote, keine schwarze. Es ist die große Selbstkleinmachung. Ein Land mit Hang zur Weltbühnenpose, das sich mit der Verwaltung von intellektueller Provinz, mit Entbürokratisierungskleinklein, mit Groschenzählereiaufreibung zufriedengibt – und dann überrascht sein wird, wenn aus der Verwaltungsdemokratie eine Verzweiflungsdemokratie geworden ist, in der die Blaufärbung nur noch Symptom, nicht mehr Ursache ist. Die FPÖ gewinnt nicht, weil sie so stark wäre, sondern weil die anderen so fantasieschwach geworden sind.

Österreich wartet wie immer auf den Wunderbringer und übersieht, dass die Wunderbürger abhandengekommen sind. Eine Republik, die sich selbst nicht mehr größer denkt, wird am Ende von jenen regiert, die nur groß deklamieren.