Finanzminister Marterbauer: “Jeder Liberale muss für eine Erbschaftsteuer sein”

Finanzminister Marterbauer im VN-Interview über den Rucksack der Vorgängerregierung, Steuerhoheit der Länder und weitere Einnahmequellen.
Interview: Julia Schilly-Polozani & Michael Prock aus Wien
Wien Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) kennt die Rufe mancher Landeshauptleute nach Steuerhoheit. Nun möchte er den Ländern ein bisschen mehr Hoheit geben, doch manche lehnen ab, sagt er im VN-Interview. Er spricht über den Spardruck, über klimaschädliche Subventionen und kritisiert die Budgetpolitik der Vorgängerregierung scharf. Dass eine Erbschaftsteuer eingeführt wird, sieht er nur als Frage der Zeit.
Der Sparkurs führt allerorts zu Reibungen. In Vorarlberg etwa im Dreieck zwischen Land, Sozialinstitutionen und Sozialarbeitern. Wie sozialverträglich können Sparpakete sein?
Marterbauer Ich bin für das Bundessparpaket zuständig, was die Bundesländer machen, ist deren Sache. Ein Sparpaket muss in dem Sinne sozialverträglich sein, dass die Leute erkennen, es geht gerecht zu. Dann sind sie bereit, sich zu beteiligen. Meine Erfahrung auf Bundesebene ist, dass sie bereit sind, einen Beitrag zu leisten. Da spielt die Einnahmenseite eine große Rolle. Wenn ich nur bei den Ausgaben kürze, erreiche ich nur Leute, die von Staatsausgaben profitieren, etwa durch Sozialtransfers. Die anderen kann ich nur erreichen, wenn ich auf der Einnahmenseite Maßnahmen setze. Da tut man sich auch leichter, die obersten Einkommensgruppen zu erreichen, zum Beispiel mit der Erhöhung der Besteuerung der Privatstiftungen. Am Ende geht es darum, die Finanzierbarkeit des Sozialstaates aufrechtzuerhalten.
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Gibt es Bereiche, die vom Spardruck ausgenommen werden sollen?
Marterbauer Wenn wir Einsparungen im Volumen von neun Milliarden Euro für 2026 vornehmen, geht das nicht, ohne dass es alle spüren. Wir versuchen aber, in Zukunftsbereichen möglichst wenig zu sparen, zum Beispiel in der Bildung. Wir halten auch die Investitionen konstant bei vier Prozent des BIP, obwohl wir das Gesamtdefizit von heuer sechs Prozent ohne Sanierungsmaßnahmen auf drei Prozent bis 2028 reduzieren.

Die Bundesländer tragen zu diesem gesamtstaatlichen Defizit bei. Warum wird in den Ländern so stark über Kürzungen im Sozialbereich diskutiert?
Marterbauer Die Länder müssen zwar Einsparungen bringen, aber wie sie ihr Defizitziel erreichen, liegt in ihrer Verantwortung. Das ist eine politische Entscheidung in den Bundesländern. Sie tun das recht unterschiedlich. Wien hat zum Beispiel den gratis Kindergarten gesichert und deshalb den Wohnbauförderungsbeitrag erhöht. Es gibt Spielräume.
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Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrats, forderte kürzlich einen stärkeren Konsolidierungskurs. Kann noch mehr gespart werden?
Marterbauer Der Fiskalrat ist für die Jahre 2025 und 2026, für die ein Budget vorliegt, in Bezug auf das Defizit sogar optimistischer als das Finanzministerium. Ich höre mir die Zurufe gerne an, möchte aber darauf hinweisen, dass für 2027, 2028 und 2029 noch gar keine Budgets vorliegen. Ich war selber mehr als 20 Jahre im Fiskalrat. Ein bisschen herrscht da die Vorstellung, Budgets zu gestalten, wäre so einfach. Wenn man mittendrin sitzt, sieht man, dass es viel schwieriger ist.
Sind wir in Österreich manchmal zu pessimistisch?
Marterbauer Viele in Österreich sind gerne pessimistisch. Aber wenn man sich selber schlechtredet, hat man kein Selbstvertrauen, um Probleme zu lösen. Seit drei Quartalen wächst die Industrie, wir haben an sich einen guten Wirtschaftsstandort. Der ist zwar in den letzten zwei Jahren in einer Rezession gewesen, wir wissen aber, warum, nämlich weil die Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierung in der Teuerungskrise eine ganz schlechte war und Österreich schlecht dastehen hat lassen. Aber jetzt geht es langsam wieder nach oben.

Teilt Ihr Regierungspartner diese Kritik an der Wirtschaftspolitik in der Teuerungskrise? Die ÖVP war ja dabei.
Marterbauer Diese Kritik kann man kaum nicht teilen. Wir hatten eine der höchsten Teuerungsraten in Europa, im Unterschied zu allen historischen Erfahrungen. In der Ölpreiskrise in den 70er-Jahren stand Österreich im internationalen Vergleich sehr gut da. Niedrige Inflation, gute wirtschaftliche Entwicklung, Vollbeschäftigung. Jetzt, in der Gaskrise, die nichts anderes ist, sind wir besonders schlecht. Wir haben offensichtlich viel falsch gemacht.
Wir reden ständig über Sparprogramme. Gleichzeitig stehen große Investitionsvorhaben an, in Vorarlberg soll die S 18 irgendwann gebaut werden. Sind solche Milliardeninvestitionen überhaupt noch drin?
Marterbauer Sie müssen drin sein. Wenn man nicht investiert, fällt man langfristig zurück und trägt später die Kosten. In Deutschland wurde 20 Jahre lang ein Nulldefizit angehimmelt. Das Ergebnis war, dass die deutsche Infrastruktur völlig verlottert ist. Investitionen haben auch industriepolitisch einen enormen Vorteil. Wenn Firmen wissen, dass in den kommenden Jahren in Schienen investiert wird, können sie Schwerpunkte setzen.
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Eine Arbeitsgruppe im Finanzministerium sieht sich die klimaschädlichen Subventionen an. Wann wollen Sie Ergebnisse präsentieren?
Marterbauer Wir werden im kommenden Jahr Vorschläge vorlegen. Mein Ziel ist es, dass wir bei den Budgeterstellungen für 2027 und 2028 Ergebnisse einfließen lassen können.
Könnte es dem Pendlereuro an den Kragen gehen?
Marterbauer Es wird sicher alles diskutiert werden. Beim Pendlereuro glaube ich nicht, dass er ein zentrales Element sein wird. Die Pendler fahren ja auch mit der Bahn.
Wie schwierig ist es, einmal eingeführte Förderungen wieder zu streichen?
Marterbauer Ich möchte zunächst vor der Illusion warnen, man könne Förderungen zum Beispiel zur Hälfte kürzen. Wir haben direkte und indirekte Förderungen in Höhe von rund 26 Milliarden Euro pro Jahr. Sie sind zum Teil dringend notwendig. Wenn ich zum Beispiel die Förderung für Ordensspitäler halbiere, verliere ich Spitalskapazitäten. Natürlich konsolidieren wir, wir haben bei den Förderungen schon mehr als eine Milliarde Euro gespart. Da ist schon etwas drinnen, aber nicht die Milliardenbeträge, die oft suggeriert werden. Bei manchen Vorstellungen über das Bundesbudget kann man wirklich nur lachen, wenn man sich im Detail ein bisschen auskennt.
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War es ein Fehler, die kalte Progression abzuschaffen?
Marterbauer Die Abschaffung war deshalb ein Fehler, weil es keine Gegenfinanzierung der Steuerausfälle gab. Dadurch fehlen uns heuer im Budget acht Milliarden Euro. Das Geld muss man erst einmal wieder einsammeln.
Welche Ideen kommen Ihnen, um das Geld wieder einzusammeln?
Marterbauer Wir haben ein Drittel der Abschaffung ohnehin wieder zurückgenommen. Der Fiskalrat hat im jüngsten Bericht darauf hingewiesen, dass uns die budgetären Maßnahmen der letzten Regierung mit 15 Milliarden Euro belasten.
Manche sagen, Österreich habe ein Ausgabenproblem.
Marterbauer Was soll das heißen? Ich halte nichts von diesen Überschriften. Ich muss auf der sachlichen Ebene über konkrete Ausgaben und Steuern diskutieren. Sich das nur auf der Überschriftenebene anzusehen, ist politische Agitation, die nichts bringt. Es werden immer Einnahmen plus Ausgaben sein.
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Sie gelten als Befürworter einer Erbschafts- und Vermögenssteuer. Wird sie kommen?
Marterbauer Ja, früher oder später. Weil nicht argumentierbar ist, warum sie nicht kommt. Einerseits haben wir eine Vermögenskonzentration wie kaum ein anderes Land in der EU. Und zweitens haben wir geringe vermögensbezogene Steuern bei gleichzeitig hoher Steuerbelastung auf den Faktor Arbeit. Das wird auf Dauer nicht gehen. Wie rasch das passiert, ist eine Frage der Mehrheiten.
Wie hoch schätzen Sie das Potenzial ein?
Marterbauer Die Erbschaftsteuer ist realistischer, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Liberale oder Christlich-Soziale gegen eine Erbschaftsteuer sein sollten. Jeder Liberale muss für eine Erbschaftsteuer sein, weil die Liberalen ja immer für Leistung sind und Erben keine Leistung ist. Die Erbschaftsteuer allein hat ein Potenzial von mindestens einer Milliarde Euro pro Jahr. Bei den Vermögensbestandssteuern liegt das Potenzial noch deutlich höher.

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Auch über die Grundsteuer wird diskutiert. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister fordern, dass sie angepasst wird.
Marterbauer Ich habe völliges Verständnis für diese Forderung, aber ideologische Widerstände kennengelernt. Ich bin über Wochen gelaufen, um den Landeshauptleuten konkrete Modelle vorzuschlagen. Das ging in die Richtung, dass die einzelnen Bundesländer entscheiden können. Das würde bedeuten, dass ein Bundesland die Grundsteuer erhöht, um mehr Geld in den kostenfreien und ganztägigen Kindergarten zu investieren. Und ein anderes Bundesland den Kindergarten am Mittag schließt und dafür die Grundsteuer nicht erhöht. Sie sollten das tun können, was sie wollen. Leider ist das an den ÖVP-Landeshauptleuten gescheitert. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum.
Sie haben den Bundesländern also mehr Steuerhoheit angeboten und sie haben das abgelehnt?
Marterbauer So ist es.
Ist der Ruf mancher Landeshauptleute nach mehr Steuerhoheit also gar nicht ernst gemeint?
Marterbauer Jetzt machen wir den Test. Viele haben gesagt, sie wollen mehr Steuerhoheit, jetzt können sie sie bekommen. Dann sehen wir, ob die Forderungen aus der Vergangenheit ernst gemeint sind.
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Die Bundesregierung hat ein Paket zum Bürokratieabbau präsentiert. Wie viel Potenzial steckt darin?
Marterbauer Wir werden damit das Budget nicht sanieren, das ist eine völlige Illusion. Aber wir wollen eine öffentliche Verwaltung, die so effizient wie möglich arbeitet. Die positiven budgetären Effekte nehmen wir gerne mit, aber wir möchten vor allem in der Umsetzung stärker werden, was enorme wirtschaftliche Vorteile bringt. Zum Beispiel bei Genehmigungsverfahren. Sagen wir beim Bau eines neuen Pumpspeicherkraftwerks. Da dauern die Verfahren jetzt fünf bis sieben Jahre, wir wollen sie um die Hälfte verkürzen.
Sie sprechen zum Kraftwerk Lünersee 2.
Marterbauer Genau. Also wenn das Kraftwerk fertig ist, können wir zum Speicher Europas werden. Und es ist eine Cashcow für Österreich. Pumpspeicherkraftwerke sind für Österreich das, was Gas für Norwegen ist, sogar noch besser. Wir können damit reich werden. Ich würde gerne jedes zweite Jahr ein neues Pumpspeicherkraftwerk eröffnen.
Sie haben zu Beginn über die Vorschläge des Fiskalrats gesprochen und darüber, dass es in der Praxis anders aussieht. Hat sich Ihre Sicht im Zuge des Rollenwechsels geändert?
Marterbauer Ja. Ich habe fast 40 Jahre lang wissenschaftlich zu budgetpolitischen Fragen gearbeitet. In der Politik hat man viel mehr Detailinformationen. Ich lerne gerade wieder irrsinnig viel. Allein deshalb sieht man Dinge anders. Außerdem funktioniert Politik nicht so, wie man es sich als Wissenschaftler vorstellt. In der Vergangenheit hätte ich die Vorstellung gehabt, wir können ein Problem identifizieren, dann überlegen wir uns die Ausgangslage, schauen Daten und wissenschaftliche Studien dazu an und dann kennen wir die Lösung. Aber so funktioniert Politik nicht. Ich muss mich vorher mit den zwei Koalitionspartnern austauschen, damit ich einen Weg beschreiten kann. Das muss man in der Politik lernen. Aber ich glaube, das ist mir ganz gut gelungen.
