Wie eine Reise in eine andere Welt

Das Valbonatal in Albanien ist ein unentdeckter Schatz unter Europas Skizielen.
Reise. (VN-H. Mandl) Albanien und Freeriden. Zwei Begriffe, die auf den ersten Blick nicht gut zueinander passen. Auf den zweiten Blick sieht die Sache schon anders aus: Das Valbonatal mit seinen bis zu 2700 Meter hohen Gipfeln gehört zu den noch unentdeckten Schätzen in Europas Skiszene. „Es ist Zeit umzukehren“, meint Martin „McFly“ Winkler. Immer öfter hören wir die grollenden Geräusche, die sich um uns auftun. Der Tag hat seinen Lauf genommen und die Berge rund um das Tal haben uns zu verstehen gegeben, dass es für heute genug ist.
Zeit für die Abfahrt
Wir packen die Felle in den Rucksack und schnallen die Ski an. In weiten Bögen geht es die schneebedeckten Hänge Richtung Tal hinab, das 1000 Höhenmeter weiter unten auf uns wartet. Wir haben das gefunden, was wir seit gut einer Woche gesucht haben: hohe Berge, steile Couloirs und Schnee, ja sogar 20 Zentimeter frischen Powder hat uns Frau Holle beschert.
Unser Abenteuer hat eigentlich im Internet angefangen. Durch Zufall fanden Eva Walkner, Martin McFly Winkler und ich diese Fotos von schneebedeckten Bergen in Albanien und Serbien. Es war ein glücklicher Umstand, dass es in der Balkanregion letzten Winter Jahrhundertschneefälle gehabt hat. Dörfer waren tagelang eingeschneit, die vielen Lawinen legten ganze Regionen lahm. So hieß es zunächst einmal warten! Ende März war es dann so weit, wir packten unseren Dethleffs-Camper und fuhren los, ohne Ziel und Plan. „Es sind noch nicht viele Skifahrer hier gewesen“, erklärt uns Catherine nach unserer Ankunft. Sie hat, genauso wie uns, das Schicksal in das Valbonatal geführt. Vom modernen New York aus fuhr sie in das einsame Tal, um Urlaub zu machen. Das war vor drei Jahren, bis heute ist sie geblieben. Gemeinsam mit Alfred betreibt sie eine Wirtschaft und vermietet Zimmer.
Aus New York ins Valbonatal
„Ja, im Sommer kommen schon einige Wanderer hierher, auch aus dem Ausland, aber im Winter verirren sich nur wenige Leute nach Valbona“, erzählt die Chefin. Vielleicht liegt es an dem schroffen Fahrweg, vielleicht an den regelmäßigen Stromausfällen, eines ist jedoch sofort klar: Wer den ordinären Wintertourismus sucht, ist hier fehl am Platz.
Das Valbonatal war schon immer ein Ort für Abenteurer. Banditen sollen hier lange ihr Unwesen getrieben haben, und auch die Blutrache noch heute vorkommen. Das Valbonatal liegt im Norden von Albanien, gleich an der Grenze zum Kosovo und Montenegro. Die Bergregion gehört zu den ärmsten Gebieten in einem der ärmsten Länder Europas. Nicht gerade der beste Platz, um dort Ski zu fahren. Doch die Malesi, so heißen die Einheimischen in der Region, haben ihre Schätze erkannt: Die einsamen Täler, die Bergseen, die luftigen Gipfel und dunkelgrünen Wälder.
Kosovo – ja oder nein?
Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir entweder quer durch die Krisenregion Kosovo fahren oder einen Umweg von sechs Stunden in Kauf nehmen. Deutsche KFOR-Soldaten geben uns am Grenzposten sogar Infos zur Durchreise mit, nach sechs Stunden konnten wir am Horizont die ersten weißen Bergrücken erkennen. Der schroffe Schotterweg zwischen uns und den Bergen ist nur 15 Kilometer lang, doch durch die vielen Murenabgänge liegen immer wieder große Steine auf der Straße, die uns zum Halten zwingen. Das Valbonatal hat ungefähr 150 Einwohner, die meisten sind Selbstversorger und kommen nur selten in die nahe Stadt Bajram Curri.
Lifte findet man hier nicht, so bleibt uns nur der Weg mit Ski und Fellen, um die Gipfel zu erklimmen. Nach einer halben Stunde durchbrechen wir die Nebelschicht, es tut sich ein alpines Paradies auf. Die steilen Felswände und die vielen Couloirs begrüßen uns mit einem Licht-Schatten-Spiel – auf der anderen Talseite liegt der höchste Berg der Region, der 2694 Meter hohe „Maja e Jezerce“. Nach der Abfahrt genießen wir in den Hängematten die restlichen Sonnenstrahlen des Tages. Kein Autolärm, kein Skilift und keine Après-Ski-Bar in der Nähe – nur die Natur, die zu uns spricht. So muss es gewesen sein, bei uns zu Hause vor 100 Jahren.
Was wir mitnehmen, sind neue Freundschaften und Erlebnisse aus einem der ärmsten Länder Europas – das bei genauerem Hinsehen viele Schätze verbirgt, die in Geld nicht aufzuwiegen sind.