Wo die Fische im Himmel schwimmen

Reise / 09.08.2013 • 11:09 Uhr
Wo die Fische im Himmel schwimmen

Peking– fünf Jahre nach den Olympischen Spielen wächst die Metropole ungebremst.

reise. (Martin Duschek) Wo einst die traditionellen Hutongs verliefen, wachsen hypermoderne Büro- und Wohnviertel in den Himmel. Auch die Menschen ändern sich. Die jährliche Kunstmesse „ArtBeijing“ ist ein Indikator für die zunehmende Individualisierung. Die Straße heißt schlicht „The Place“. Rund 250 Meter lang und dreißig Meter breit beherbergt „The Place“ eine feine Auswahl internationaler Luxus-Geschäfte, Bars und Restaurants. In 25 Metern Höhe ist „The Place“ überdacht – und darin besteht die eigentliche Sensation – mit einem der größten LED-Fernseher der Welt. Auf 7500 Quadratmetern zaubern Abermillionen leistungsstarke LEDs eigens für dieses Format gedrehte Videos in den Himmel. Die Besucher sehen, den Kopf weit nach hinten gebeugt, wie im virtuell blauen Himmel Walfische schwimmen, Quallen schwärmen, auf einmal ein „Yellow Submarine“ abtaucht. Die Szene wechselt, plötzlich schweben bizarre Felsinseln im Raum. Die Idee dürfte vom Kinoklassiker „Avatar“ abgekupfert worden sein. Daraufhin taucht die gesamte Straße in ein tiefes Rot. Rosen beginnen am Kunsthimmel zu blühen, dazwischen Bilder von jungen Menschen. Unsere Dolmetscherin kichert: „Ein Heiratsantrag, der Mann bittet seine Geliebte um das Ja“, und Tausende auf der Straße sehen zu.

Tag und Nacht gebaut

Vor wenigen Jahren noch standen hier, westlich des Pekingers Stadtzentrums, die einstöckigen traditionellen Häuschen dicht an dicht gereiht, sogenannte Hutongs – enge Gassen. Aber Peking ändert sich, angetrieben vom enormen chinesischen Wirtschaftswachstum, rasend schnell. Gebaut wird hier Tag und Nacht, 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Die Skyline der Pekinger Büroviertel kann sich mit jeder amerikanischen Großstadt messen. In puncto Sauberkeit hat der bevölkerungsreichste Staat der Erde die westlichen Städte längst hinter sich gelassen. Kein Zigarettenstummel, kein Hundekot oder Abfall welcher Art auch immer liegen auf Pekings Straßen, U-Bahnen oder öffentlichen Plätzen. Ein Großheer von Reinigungskräften sorgt für perfekte Sauberkeit, nicht nur im Zentrum, sondern einfach überall. Der Schwachpunkt Pekings bleibt die Atemluft. Praktisch ständig trübt eine Dunstglocke aus Autoabgasen und Rauch der umliegenden Kohlekraftwerke die Sicht. Das Tragen von Tüchern vor dem Mund als einfache Atemschutzmasken wird verständlich. Dennoch ist Peking eine grüne Stadt. Weitläufige Parks, Alleen und Rasenflächen bringen die Natur zu den rund 20 Millionen Bewohnern.

Nine Million Bicycles

Wenn Katie Melua singt: „There are nine Million Bicycles in Beijing“ hat sie sich wohl gut um die Hälfte nach unten verschätzt. Der Drahtesel zählt auf den Seitenstreifen der mächtigen fünf Pekinger Ring-Highways zu den wichtigsten Verkehrsmitteln der Hauptstadt. Die Bikes flitzen ungewöhnlich schnell und lautlos, rund drei Viertel verfügen über elektrische Antriebe, ebenso die dreirädrigen Rikschas und Kleinlieferwägen. Die Hauptverkehrsadern Pekings verlaufen jedoch unterirdisch. Das U-Bahn-System mit derzeit siebzehnzehn Linien und 456 Kilometer Länge ist – richtig – das längste der Welt. Superlativen begegnet der Peking-Besucher auf Schritt und Tritt. Vom größten Platz der Welt, dem Tian‘anmen, über den größten Palast der Welt, der Verbotenen Stadt, über das größte Bauwerk der Menschheit, der Chinesischen Mauer, hinaus finden sich Rekorde an allen Ecken und Enden. Wer sich dabei das größte Staatsvolk der Welt als rotzende und spuckende Proletarier vorstellt, liegt weit daneben. Was nach der Kulturrevolution „en vogue“ oder einfach Überlebensstrategie war, wurde längst aus dem offiziellen Verhaltenskodex gestrichen. Intellekt und Kultur sind kein Todesurteil mehr. Im Peking von heute spuckt Ihnen niemand mehr vor oder auf die Schuhe! Überhaupt lässt sich der kommunistische Hintergrund der Volksrepublik kaum spüren. Das moderne, blinkende, funkelnde Peking präsentiert sich zutiefst als kapitalistische Metropole. Einkaufszentren, Cafés, Restaurants, Mikro- und Makroökonomie, an allen Ecken und Enden dampft der Handel.