
echten Sienesen wichtiger als die Frage, zu welchem Fußballklub er hält. Ob sie zur Schildkröte, zum Einhorn oder zur Muschel gehören, bestimmt einen Großteil des Lebens von Sienas Bürgern und oft sogar die Wahl des Ehepartners. Denn die Contrade ist eine große Familie. Wer Siena begreifen will, der muss die Contraden verstehen. Von den 17 historischen Stadtvierteln hat jedes seinen eigenen Bürgermeister, seine Kirche, sein Versammlungslokal.
Jede Contrade hat auch ihr eigenes Veranstaltungshaus und ihren Pferdestall. Die Pferde für das große Rennen werden erst einige Tage zuvor ausgelost und müssen dann untergebracht werden. Damit ihnen die Rivalen nicht zum Beispiel ein Schlafmittel geben, werden die Rösser Tag und Nacht bewacht.
Am frühen Nachmittag vor dem Rennen findet der „Corteo Storico“ statt. Höhepunkt bei dem Umzug in Kostümen aus dem Siena des 15. Jahrhunderts ist der von Maremma-Bullen gezogene Kriegswagen. Das eigentliche Rennen startet abends um sieben Uhr, doch für einen ordentlichen Platz muss man viele Stunden vorher da sein. Die Einheimischen streiten sich, ob es besser in der besonders wilden Curva San Martino ist oder doch entlang der Geraden. Eng wird es auf dem Platz auf jeden Fall. Wohl dem, der sich für viel Geld feste Tribünenplätze sichern konnte, von wo aus man die beste Sicht auf das Rennen hat und sich zwischendurch auch mal die Füße vertreten kann, ohne hinterher mit 35.000 Leuten um einen Platz zu kämpfen. Und dann kommt der große Moment: Nur drei Runden lang müssen die für viel Geld von den Contraden angeworbenen Profi-Jockeys ihre Rösser um den abschüssigen Stadtplatz jagen, nach kaum mehr als einer guten Minute ist alles vorbei. Doch welch ein Jubel für den Sieger, welche Schmach für die Besiegten! Bestechungen und Knochenbrüche sind an der Tagesordnung, alle Behinderungen des Gegners erlaubt.
Nach dem Rennen ist natürlich noch lange nicht Schluss. Die Siegesfeierlichkeiten dauern die ganze Nacht an. Die offizielle Siegerehrung mündet in ein riesiges Gelage unter freiem Himmel. Den Ehrenplatz hat – das Siegerpferd.